Musikleben

Anhaltisches Theater Dessau

Anhaltisches Theater Dessau

 

Das Anhaltische Theater Dessau ist ein Mehrspartentheater, was bedeutet, dass hier die vier Sparten Schauspiel, Musiktheater, Konzert und Ballett bedient werden; außerdem wird Puppentheater gespielt. Die Anhaltische Philharmonie ist hier beheimatet.

Die Tradition des Dessauer Theaters begann in einer Zeit, als die Stadt eine rasante kulturelle Entwicklung erlebte. Die Residenzstadt des Fürstentums Anhalt war lange Zeit militärisch und calvinistisch geprägt, bis 1758 Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau seine Regentschaft antrat. Er war Kunst und Kultur gegenüber sehr aufgeschlossen, weshalb in seiner Zeit das Wörlitzer Gartenreich entstand, die Gründung einer Fürstlichen Hofkapelle erfolgte und auch im bürgerlichen Leben die Kultur Einzug fand. So gab es ab 1770 regelmäßig stattfindende Liebhaberkonzerte und fünf Jahre später wurde das “Gesellschaftliche Theater”, ein Liebhabertheater, gegründet (vgl. Musikkoffer-Artikel zu Friedrich Wilhelm Rust).

Bei den etwa 30 „Liebhabern“, die hier zunächst im Stadtschloss spielten, handelte es sich um Bürger oder Mitglieder des Hofstaates. Von Anfang an wurden nicht ausschließlich Schauspiele, sondern auch Operetten oder Singspiele aufgeführt. Dies blieb auch in der Folgezeit so, als an die Stelle des Liebhabertheaters reisende professionelle Schauspieltruppen traten. Eines der besten Ensembles kam unter Leitung seines Theaterdirektors Friedrich Wilhelm Bossann 1794 von Mainz nach Dessau und sollte dort lange Zeit bleiben. 20 Jahre lang prägte Bossann mit seinen Künstlern das Dessauer Stadtleben und sorgte gemeinsam mit der Hofkapelle dafür, dass sich Dessau zu einem Zentrum der Mozartpflege entwickelte. Insbesondere Mozarts Opern gelangten allein bis 1810 zu 130 Aufführungen, seit 1798 im neu eröffneten Theatergebäude, das von Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff erbaut worden war. Die Entwicklung von Theater und Orchester in Dessau ist seitdem eng miteinander verwoben. Die Sprechbühne wurde auch nicht vernachlässigt, unter anderem kamen Friedrich Schillers Maria Stuart, Kabale und Liebe sowie Die Jungfrau von Orleans zur Aufführung.

Nach einer kultur- und sozialpolitisch schwierigen Phase im Zuge der Napoleonischen Kriege kam es unter Musikdirektor Friedrich Schneider ab 1821 zu einem neuen Aufschwung. Es dauerte aber noch weitere 20 Jahre, ehe unter dem Intendanten Johann Georg von Berenhorst das erste staatliche, fest engagierte Darstellerensemble am Dessauer Theater installiert wurde. Unter anderem wurden Ludwig van Beethovens Fidelio und Opern von Carl Maria von Weber mit großem Erfolg aufgeführt. Seit 1851 fanden auch Ballettaufführungen als eigene Sparte am Dessauer Theater statt – der erste Ballettmeister Richard Fricke schaffte es fortan, jedes Jahr ein Ballett im Spielplan unterzubringen. Und trotz des großen Theaterbrandes im Jahr 1855 setzte sich die Erfolgsgeschichte des Dessauer Theaters weiter fort. Im bereits anderthalb Jahre später wiedereröffneten Theater gelangten sämtliche Bühnenwerke Richard Wagners – Dessau galt damals sogar als „Bayreuth des Nordens“ – zur Aufführung. Guiseppe Verdi, Wolfgang Amadeus Mozart und Carl Maria von Weber gehörten ebenso zum Repertoire des Musiktheaters wie Giacomo Puccini oder Richard Strauss. Der Schwerpunkt unter Intendant Rudolf von Normann lag zu dieser Zeit eindeutig auf dem Musiktheater.

Einen Einschnitt stellte der zweite Theaterbrand im Jahr 1922 dar. Auch wenn der Theaterbetrieb an verschiedenen Ausweichspielstätten unermüdlich weitergeführt wurde, dauerte es bis ins Jahr 1938, dass ein neues Theater eingeweiht werden konnte. In dieser Übergangszeit standen Schauspiel und Konzert wieder mehr im Fokus als Musiktheater, und es entwickelte sich eine rege Zusammenarbeit mit den Künstlern des Dessauer Bauhauses. Aufgrund ihres Sieges in der Landtagswahl stellten die Nationalsozialisten schon im Mai 1932 den Vorsitzenden der Theaterstiftung. Auch der kolossale Theaterneubau war ein Vorzeigeprojekt der nationalsozialistischen Führung und wurde in Anwesenheit von Adolf Hitler und Joseph Goebbels am 29. Mai 1938 eröffnet. Er wurde während der Luftangriffe auf Dessau am 30. Mai 1944 fast vollständig zerstört.

Das 1949 wiederaufgebaute Theater verfügte über alle bühnentechnischen Möglichkeiten dieser Zeit und wurde auch als „Wunder von Dessau“ bezeichnet. Noch heute besitzt es eine der größten Drehbühnen Deutschlands und bietet mehr als 1000 Zuschauern Platz. Trotzdem mussten Intendanten wie Willy Bodenstein, Herbert Keller oder Peter Gogler miterleben, wie in der kulturpolitisch nicht einfachen DDR-Zeit das Interesse an Wagner-Tradition und dem Theater allgemein zurückging. Das große Theaterhaus wurde aber durchgängig bespielt, Johann Wolfgang von Goethes Faust ebenso aufgeführt wie zahlreiche Werke von Bertolt Brecht. Im Musiktheater pflegte man die russischen Werke, aber auch Weber, Verdi und Albert Lortzing wurden gespielt, wie auch Paul Dessau und Alban Berg. Ballettmeister Dieter Klimaszyk sorgte für eine kontinuierliche, qualitativ hochwertige Ballettarbeit in Dessau.

Zuschauerraum des Anhaltischen Theaters

 

Im Jahr 1994 bekam das Dessauer Theater den Namen „Anhaltisches Theater“ und erlebte seitdem unruhige Zeiten. Aufgrund von Kürzungsplänen der Landesregierung wurde es auf die „Rote Liste Kultur“ mit dem Status „gefährdet“ gesetzt. Trotz teils widriger Umstände konnten seit der Wiedervereinigung große Erfolge gefeiert werden. So gab es von 2004 bis 2009 die Zusammenarbeit mit der Gregor Seyffert Compagnie, die in Werken wie Der kleine Prinz, Tango-Palast oder dem im alten Kraftwerk Vockerode aufgeführten Marquis de Sade mündete. Von 2012 bis 2015 widmete man sich wieder intensiv der Wagner-Pflege und führte mehrfach mit großem Erfolg den kompletten Ring des Nibelungen auf. Einen besonderen Namen als Generalintendant machte sich der bis 2015 wirkende André Bücker, der die finanziellen Kürzungen im Kulturbereich auf das Schärfste kritisierte.

Aktuell (Stand Januar 2023) leitet Johannes Weigand als Generalintendant die Geschicke des Anhaltischen Theaters, die künstlerische Leitung haben u. a. Felix Losert (Leitender Dramaturg Musiktheater), Markus L. Frank (Generalmusikdirektor und Chefdirigent der Anhaltischen Philharmonie), Dr. Alexander Kohlmann (Schauspieldirektor und leitender Dramaturg), Kerstin Dathe (Leiterin Puppentheater) sowie Ballettdirektor und Chefchoreograf Stefano Giannetti inne. Pro Spielzeit feiern knapp 20 Inszenierungen Premiere, die in den Spielstätten Großes Haus, Altes Theater, Puppentheater sowie an verschiedenen anderen Lokalitäten (Luisium, Wörlitzer Gartenreich, Bauhaus Dessau) zur Aufführung kommen. Das Anhaltische Theater ist auch Spielort der jährlich stattfindenden Festivals Kurt Weill Fest Dessau und IMPULS-Festival für Neue Musik in Sachsen-Anhalt.

Durch diese Partizipationen, durch spezielle Angebote für Schüler*innen und Studierende sowie die aktive Arbeit der Theaterpädagogin Karina-Paula Kecsek und ihrer Mitarbeiter ist das Anhaltische Theater in Dessau und Umgebung ganzjährig präsent und von immenser Bedeutung für die Region.

Rangfoyer des Anhaltischen Theaters Dessau

Literatur

Lutz Buchmann/Ronald Müller/Silvia Lehfeld/Kathleen Neubert, Art. „Dessau“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., veröffentlicht 2016-04-25, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/14219.

Karl-Heinz Köhler/Lutz Buchmann/Ronald Müller, Von der Fürstlichen Hofkapelle zur Anhaltischen Philharmonie – 250 Jahre Orchester in Dessau, hrsg. vom Anhaltischen Theater Dessau, Jonitzer Verlag, Dessau 2016.

Hartmut Runge, Dessauer Theaterbilder – Zur 200-jährigen Geschichte des Theaters in Dessau, Anhaltische Verlagsgesellschaft, Dessau 1994.

Links

Anhaltisches Theater Dessau

Kiss Me, Kate (Trailer), Anhaltisches Theater Dessau (Premiere 19. Januar 2018)

Gregor Seyffert Compagnie

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Besuch im Musiktheater, Autorin:  Mareike Ratzeburg

Felix Neumann 2019, letzte Aktualisierung Januar 2023

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2018 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.