Komponist*innen

Scheidt, Samuel (1587–1654)

* get. 4. November (jul.) / 14. November (greg.) 1587 in Halle (Saale), † 24. März (jul.) / 3. April 1654 (greg.) ebd.

Porträtstich Samuel Scheidts aus der Tabulatura Nova (1624, unbekannter Künstler)

Biografie

Kindheit und Jugend in Halle
Samuel Scheidt kam am 14. November 1587 (gregorianische Kalender) in Halle (Saale) zur Welt. Vermutlich besuchte er das städtische Gymnasium und sang im Stadtsingechor, der im sonntäglichen Wechsel an den drei Kirchen St. Marien (Marktkirche), St. Ulrich und St. Moritz die Musik mitgestaltete. So kam Scheidt früh in Kontakt mit Kirchenmusik und Chorgesang. Zudem muss er bereits als Jugendlicher das Orgelspiel erlernt und schnell außergewöhnliche Fähigkeiten entwickelt haben: 1603 wurde er mit 16 Jahren Organist an der Moritzkirche, der damals drittwichtigsten Kirche Halles.

An der Moritzkirche in Halle erhielt Samuel Scheidt mit 16 Jahren die Organistenstelle.

 

Lehrjahre in Amsterdam
Spätestens ab 1607 hielt sich Samuel Scheidt in Amsterdam auf. Er nahm Unterricht bei Jan Pieterszoon Sweelinck, dem größten Orgelvirtuosen seiner Zeit in den Niederlanden und ganz Norddeutschland. Hier bildete sich Scheidt sowohl in der Komposition als auch in der Improvisation fort.

Die musikalische Grundlage des Werks Sweelincks waren sowohl liturgische Gesänge und geistliche Choräle als auch weltliche Strophenlieder. Dies spiegelt sich auch im Werk Samuel Scheidts wider: Seine Tabulatura Nova enthält neben geistlichen Choralbearbeitungen auch Variationswerke über zwei niederländische Volkslieder, die er in Amsterdam kennengelernt haben muss (siehe Musikbeispiel).

Hoforganist in Halle
Spätestens 1609 kehrte Samuel Scheidt als hoch versierter Organist nach Halle zurück. Er trat das Amt des Hoforganisten beim lutherischen Markgrafen Christian Wilhelm von Brandenburg an, der als Administrator des Bistums Magdeburg auf der Moritzburg residierte. Scheidts Aufgabe bestand nun im Orgelspiel in den höfischen Gottesdiensten. Darüber hinaus war er ein gefragter Orgellehrer.

Nach seiner Rückkehr aus Amsterdam wurde Scheidt Hoforganist an der Moritzburg in Halle.

 

Blütejahre als Hofkapellmeister
Im Jahr 1619 stieg Scheidt zum Hofkapellmeister in Halle auf. Seine Aufgabe war somit nicht mehr allein das Orgelspiel, sondern er trug die Verantwortung für die gesamte gottesdienstliche und weltliche Musizierpraxis an der Moritzburg. Dafür stand ihm eine gut besetze Vokal- und Instrumentalkapelle zur Verfügung, für die er komponierte. Scheidt verdiente nun mehr Geld, allerdings fehlte ihm die Zeit für das Unterrichten. Da er jedoch weiterhin viele Anfragen von Orgelschülern erhielt, verfasste er in den Folgejahren die Tabulatura Nova, eine umfangreiche Sammlung an Orgelstücken, welche er als Unterrichtswerk konzipierte. Sie erschien 1624 in Hamburg und enthält das einzige erhaltene Bildnis Scheidts, einen Porträtstich (s. o.).

Samuel Scheidt erlebte in den frühen 1620er-Jahren die Blütezeit seines Lebens. Er hatte beste musikalische Arbeitsbedingungen, erhielt ein gutes Gehalt und genoss hohes Ansehen über Halle hinaus. Im Jahr 1620 konnte er mit den Cantiones Sacrae (SSWV 1–38) eine Sammlung im Druck herausbringen.

Scheidt lebte in dieser Zeit vermutlich schon in seiner Mietwohnung in der Dachritzstraße. Von einem gewissen Wohlstand zeugt eine Spende für den Neubau einer Orgel für die Moritzkirche durch Johann Heinrich Compenius ab 1624. Scheidt stellte 200 Florin zur Verfügung. Das ist fast so viel, wie er wenige Jahre später als Director Musices in einem ganzen Jahr verdiente.

Dreißigjähriger Krieg
Im Oktober 1625 eroberten und besetzten die Truppen Wallensteins die Stadt Halle und die Moritzburg. Administrator Christian Wilhelm floh mit seinem Hofstaat, was zum Zerfall der Hofkapelle und der gesamten höfischen Musik führte. Scheidt wird in einem Rechnungsbeleg von 1627 treffend als „dienstloser Musicus“ aufgeführt. Ausgerechnet in diesem Jahr schloss Scheidt eine Ehe mit Helena Margaretha Keller. Die Hochzeit fand in der Kirche
St. Petrus in Wörmlitz statt, einem Fischerdorf südlich von Halle. Aus der Ehe gingen mehrere Kinder hervor.

In der Kirche St. Petrus in Wörmlitz heiratete Scheidt 1627.

 

Director Musices
Nach dem Wegfall seines Amtes als Hofkapellmeister verdiente Scheidt sein Geld vermutlich wieder durch das Erteilen von Orgelunterricht sowie Organistendienste an den halleschen Kirchen. Da eine baldige Wiederbelebung der Hofmusik als unwahrscheinlich anzunehmen war, schuf die Stadt Halle 1629 für Samuel Scheidt das Amt eines Director Musices. Er verantwortete nun die städtische Kirchenmusik. Damit war er vor allem an der Hauptkirche
St. Marien tätig und arbeitete mit der Stadtpfeiferei und dem Stadtsingechor zusammen. Scheidt nahm eine Neuorganisation der städtischen Musik vor und beschaffte neue Instrumente und Noten. In diese Zeit fällt vermutlich die Komposition seiner Geistlichen Konzerte.

Eine Tafel an der Marktkirche in Halle erinnert an den einstigen Director Musices.

 

Musiker ohne Amt
Die Tätigkeit als Director Musices lief aus nicht vollständig geklärten Gründen bereits zum Ende des Jahres 1630 aus. Scheidt war nun – mit heutigen Worten formuliert – unfreiwillig freischaffender Musiker. Er finanzierte seinen Lebensunterhalt verstärkt durch das Orgelspiel in Kasualien, also Tauf-, Begräbnis- oder Hochzeitsgottesdiensten. Weitere Einnahmen erhielt Scheidt durch Unterrichten sowie Auftragskompositionen. Zudem wurde Scheidt regional und überregional zur Anfertigung von Orgelgutachten bestellt.

Es ist zu vermuten, aber nicht durch Quellen belegt, dass Scheidt vereinzelt auch wieder in die höfische Musik eingebunden war, wenn auch die Umstände viel kläglicher gewesen sein müssen als vor dem Krieg.

Späte Jahre und Tod
1650 erschien Scheidts letztes Druckwerk: das sogenannte Görlitzer Tabulaturbuch. Es ist eine Sammlung mit 100 geistlichen Liedern und Psalmen in vierstimmigen Choralsätzen für „die Herren Organisten / mit der Christlichen Kirchen und Gemeine auff der Orgel / desgleichen auch zu Hause / zu spielen und zu singen“. Somit handelt es sich gewissermaßen um ein Lehr- und Praxiswerk für das liturgische Orgelspiel.

Im August 1652 starb Scheidts Ehefrau Helena Margaretha. Am 3. April 1654 (gregorianischer Kalender) starb auch Samuel Scheidt im Alter von 64 Jahren.

Musikhistorische Bedeutung

Scheidt reiht sich in eine Riege bedeutender Musiker und Komponisten seiner Zeit ein. Etwa stand er in engem Kontakt mit dem Komponisten und Musiktheoretiker Michael Praetorius, der seit etwa 1615 (n. Dochhorn 2016) Hofkapellmeister „von Haus aus“ am Erzbischöflich-Magdeburgischen Hof in Halle war. Auch pflegte Scheidt eine Freundschaft mit Johann Hermann Schein (1586–1630), der ab 1616 das Amt des Thomaskantors in Leipzig innehatte. Scheidt war Taufpate von Scheins 1623 geborener Tochter Susanna Sidonia. Mit dem Komponisten Heinrich Schütz war er ebenfalls bekannt. Scheidt, Praetorius und Schütz arbeiteten u. a. bei Orgelprüfungen zusammen, so am 15. August 1619 in Bayreuth.

Aufgrund der Überschneidung ihrer Lebenszeit sowie der geografischen Nähe ihrer Tätigkeitsfelder werden Samuel Scheidt, Heinrich Schütz und Johann Hermann Schein oft als „die drei Sch“ oder „die drei großen S“ betitelt. Letztere „berühmte Formulierung“ (Dochhorn 2016) geht bis ins 17. Jahrhundert zurück (u. a. bei Wolfgang Caspar Printz, Historische Beschreibung, Dresden 1690; vgl. ebd.) und stellt die drei Komponisten Schütz, Schein und Scheidt auf eine Stufe.

Der zuweilen anzutreffende Versuch, die geistlichen Vokalwerke von Heinrich Schütz und Samuel Scheidt gegeneinander abzuwägen, scheint aufgrund der verschiedenen Kompositionsweisen „wenig sinnvoll”, da beide einen ganz unterschiedlichen Ansatz verfolgen (vgl. Koch 2005). Während bei Schütz „die Wort-Ton- bzw. Text-Musik-Beziehung, der madrigalische Stil, die musikalisch-rhetorischen Figuren” im Vordergrund stehen, geht es Scheidt eher um „die kontrapunktische Setzweise, das architektonische Moment” (ebd.). Insofern ist Scheidts kompositorisches Vorgehen mehr instrumental, das von Schütz mehr vokal geprägt. Ein Großteil des Gesamtwerkes von Samuel Scheidt sind Cantus-firmus-Bearbeitungen oder Parodien, was seiner Prägung durch Sweelinck Rechnung trägt.

In Halle erinnert eine Tafel an der Marktkirche an den einstigen Director Musices, im Stadtviertel Südliche Neustadt verläuft ein Samuel-Scheidt-Weg.

Samuel-Scheidt-Weg in Halle, Ecke Johann-Sebastian-Bach-Straße

Werke (Auswahl)

Samuel Scheidt schuf eine große Anzahl an Vokal- und Consortkompositionen. Insbesondere ist er bekannt für die Orgel- und Cembalowerke seiner Tabulatura Nova (1624).

Das Samuel-Scheidt-Werke-Verzeichnis (SSWV), das von dem Musikwissenschaftler Klaus-Peter Koch herausgegeben wird, dokumentiert das Schaffen des Komponisten. Folgende Liste bietet einen Überblick über Scheidts Werke. Sie orientiert sich an dieser Seite und lässt Scheidts Wirken sowohl im kirchlich-geistlichen als auch im höfisch-weltlichen Bereich gut erkennen:

  • Cantiones Sacrae: geistliche Motetten
  • Ludi Musici I-IV: weltliche Tanzsätze
  • Concertus sacri: Psalmvertonungen und weitere liturgische Werke
  • Tabulatura Nova I-III: geistliche, liturgische und weltliche Werke für Tasteninstrument (Cembalo oder Orgel)
  • Geistliche Konzerte I-IV: geistliche Motetten
  • Liebliche Kraftblümlein: geistliche Motetten
  • Siebzig Symphonien: weltliche Sätze für Tasteninstrument
  • Görlitzer Tabulaturbuch: Sätze zu 100 damals gebräuchlichen Chorälen als Anleitung für Organisten zur Begleitung des Gemeindegesangs

Klangbeispiele

(Juni 2023)

In der Kirche St. Petrus in Wörmlitz, in der Samuel Scheidt 1627 heiratete, erklingen Thema und Variationen über Ei, du feiner Reiter aus Scheidts Tabulatura Nova (1624). An der Schuster-Orgel (1960) spielt Burkhard Sereße.

 

Hier können das Thema und die Variationen einzeln angewählt werden:

Thema

1. Variation

Literatur

Konrad Brandt, Beobachtungen und Anmerkungen zu Scheidts Tabulatura Nova, in: Schriften des Händel-Hauses in Halle 5, Halle (Saale) 1989, S. 61–69.

Hendrik Dochhorn, Art. “Scheidt, Samuel”, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., veröffentlicht November 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/50504.

Klaus-Peter Koch, Art. „Scheidt, Samuel”, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 634–636 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd118754394.html#ndbcontent.

Klaus-Peter Koch, Samuel-Scheidt-Kompendium, Ortus-Musikverlag, Beeskow 2012.

Siegbert Rampe, Zum sozialhistorischen Kontext der Tabulatura Nova, in: Bericht über die Internationale wissenschaftliche Konferenz am 5. und 6. November 2004 im Rahmen der Scheidt-Ehrung 2004 in der Stadt Halle und über das Symposium in Creuzburg zum 350. Todesjahr, 25.–27. März 2004, Schriften des Händel-Hauses in Halle 20, Halle (Saale) 2006, S. 247–260.

Harald Vogel (Hrsg.), Tabulatura Nova Teil 1, Edition Breitkopf 8565, Leipzig 1994.

Links

Noten von Samuel Scheidt zum kostenlosen Download in der Petrucci Music Library/IMSLP

Übersicht über alle Direktoren des Stadtsingechores auf der Website des Freundes- und Fördervereins des Stadtsingechores zu Halle e. V.

Anregungen für den Unterricht

Samuel Scheidt übernahm bereits mit 16 Jahren seine erste Organistenstelle. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede gibt es zwischen der Ausbildung zum Organisten im 17. und 21. Jahrhundert? Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klasse (Empfehlung des Autors) erkunden dies in zwei Gruppen anhand zweier kurzer Beschreibungen von Samuel (11) und Helena (11).

In einer Höraufgabe beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler mit Scheidts sieben Variationen über das niederländische Lied Ei, du feiner Reiter (die Variationen können oben einzeln angewählt werden). Anhand von Adjektiven soll der Charakter der jeweiligen Variationen beschrieben werden (s. u. „Materialien zum Download).

Materialien zum Download

Arbeitsblätter (PDF):

Wie wird man eigentlich Organist? – Gruppe A, Wie wird man eigentlich Organist? – Gruppe B (Lösungsblatt für Lehrer*innen sowie die Schüler-Arbeitsblätter im ODT-Format auf dem Landesbildungsserver)

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Burkhard Sereße 2023

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2023 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.