Komponist*innen

Praetorius, Michael (1571/72–1621)

* 1571/72 in Creuzburg/Werra, † 15. Februar 1621 in Wolfenbüttel

Michael Praetorius, Kupferstich aus dem Jahr 1606

 

Michael Praetorius, einer der bedeutendsten Musiktheoretiker, Komponisten und Orgelspezialisten der Wendezeit vom 16. zum 17. Jahrhundert, wirkte im Rahmen seiner langjährigen Anstellung beim Herzog Heinrich Julius von Braunschweig und Lüneburg, der zudem Regent des Fürstentums Braunschweig-Wolfenbüttel und Bischof von Halberstadt war, auch auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalt. Im nahe Halberstadt gelegenen Gröningen unterhielt der Herzog mit Residenz in Wolfenbüttel ein prunkvolles Renaissanceschloss mit einer Schlosskapelle, an der Praetrorius als herzoglicher Kammerorganist tätig war.

Rekonstruktionsversuch des im Jahr 1817 abgerissenen Renaissanceschlosses Gröningen um 1600

Biografie

Michael Praetorius (auch Schultheis, Schultze) wurde als Sohn des Pfarrers Michael Schultheis, der bei Martin Luther und Philipp Melanchthon in Wittenberg studiert hatte, 1571 oder 1572 (Geburtsdatum umstritten) im thüringischen Creuzburg geboren. Seine Schulzeit verbrachte er in Torgau und Zerbst. Bereits in sehr jungen Jahren begann er um 1585 ein Studium der Philosophie und Theologie an der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder, wo sein Bruder Andreas Theologieprofessor  und Pfarrherr an der Universitäts- und Pfarrkirche Sankt Marien war.

Mit 16 Jahren, nach dem Tod des Bruders, übernahm der junge Praetorius die Organistenstelle an der Marienkirche und hatte so die finanziellen Mittel, weiter zu studieren. Dennoch verließ er im Jahr 1589 Frankfurt, wohl um sein Studium in Helmstedt fortzusetzen, wo ein Freund seines Bruders, der Historiker Reiner Reineccius, an der Universität tätig war. Dieser stellte möglicherweise auch die Verbindung zu Herzog Heinrich Julius her, der bereits im Alter von zwölf Jahren von seinem Vater als Rektor der Helmstedter Universität eingesetzt worden war.

In den Dienst des Herzogs trat Praetorius um 1594 als dessen Kammerorganist, ohne jedoch einen Universitätsabschluss vorweisen zu können. Praetorius‘ musikalische Ausbildung wird wohl weitestgehend autodidaktisch erfolgt sein. Der höchst gebildete und kunstaffine Heinrich Julius, der selbst Orgel spielte, hatte bereits im Jahr 1592 den Bau einer opulenten und reich verzierten Orgel für seine Schlosskapelle in Gröningen bei dem Halberstädter Orgelbauer David Beck in Auftrag gegeben, die im Jahr 1596 vollendet wurde. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass auch Praetorius an der Konzeption der Orgel mit 59 Registern mitwirkte. Zumindest war er einer der 53 (nach einigen Quellen 54) Organisten, die im August 1596 an der berühmten Gröninger Orgelprobe anlässlich der Feierlichkeiten zur Einweihung der neuen Orgel teilnahmen, darunter Hans Leo Haßler, Hieronymus Praetorius,  Heinrich Compenius der Ältere und vermutlich auch Joachim a Burck (nach Johann Gottfried Walthers Musicalischem Lexicon von 1732, s.  hier ; auf einer im Jahr 1705 von Andreas Werckmeister im Rahmen eines Orgelgutachtens veröffentlichten „Teilnehmerliste“ fehlt er allerdings).

Der Prospekt der Orgel befindet sich heute in der Martinikirche in Halberstadt, in welche die Orgel im Jahr 1770 gebracht worden war. Das Gröninger Schloss wurde im Jahr 1817 abgerissen.

Gröninger Orgel in der Martinikirche in Halberstadt

 

Im Jahr 1603 heiratete Praetorius die Halberstädterin Anna Lakemacher und wurde 1604 vom Herzog zum Hofkapellmeister ernannt, nachdem sein Vorgänger Thomas Mancinus in den Ruhestand versetzt worden war. Das Organistenamt in Wolfenbüttel und Gröningen übte er aber weiter aus. Reisen im Auftrag des Herzogs führten ihn u. a. nach Bückeburg, Kassel, Regensburg und Prag.

Nach dem Tod des Herzogs im Jahr 1613 blieb Praetorius offiziell Hofkapellmeister in Wolfenbüttel bei dessen Nachfolger  Friedrich Ulrich. Er wurde aber, als im Trauerjahr nach dem Tod des Herzogs die Musik am Hofe schwieg, vom sächsischen Kurfürsten Johann Georg  als „Kapellmeister von Haus aus“ nach Dresden an den Hof quasi „ausgeliehen“. Dort arbeitete er auch mit Heinrich Schütz zusammen. Die Dresdner Hofkapelle war wesentlich größer und besser besetzt als die in Wolfenbüttel, sodass sich Praetorius ganz neue Möglichkeiten für repräsentative mehrchörige Kompositionen im neuen italienischen Stil boten. Dieselbe Position hatte er 1615/16 auch am Erzbischöflich-Magdeburgischen Hof in Halle (Saale) inne (vgl. Forchert 2016). Mit dem Komponisten, Musiktheoretiker, Astronomen und Chronologen Seth Calvisius führte er einen regen Briefwechsel.

Seine künstlerisch und kompositorisch äußerst fruchtbaren letzten Lebensjahre verbrachte er trotz seiner Anstellung in Wolfenbüttel vorwiegend als von Ort zu Ort reisender musikalischer Berater, Orgelgutachter, Komponist von Festmusiken und Organisator (vgl. Forchert 2021), da  der neue Fürst seine Vorschläge hinsichtlich einer Reorganisation der Hofkapelle nicht berücksichtigte. 1620, als er bereits seit Längerem kränkelte, wurde sein Vertrag dann wohl nicht mehr verlängert.

Musikhistorische Bedeutung

Michael Praetorius hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Werk, das vorwiegend auf mehrstimmigen, oft mehrchörigen Vokalkompositionen basiert. Beim „weitaus größten Teil seiner Kompositionen“ handelt es sich um „Cantus-firmus-Kompositionen über protestantische Choralmelodien“ (Forchert 2021). Darunter sind sowohl deutschsprachige Liedkompositionen als auch Werke in lateinischer Sprache, die am Vorbild des Gregorianischen Chorals orientiert sind. Diese beiden Kompositionslinien bestimmen sein Frühwerk bis zum Tod von Herzog Heinrich Julius im Jahr 1613.

Praetorius‘ Spätwerk umfasst hauptsächlich höfische Gelegenheitskompositionen zu verschiedenen Anlässen (Feste, politische Zusammenkünfte, Hochzeiten, Taufen etc.), für die ihm meistens Musiker aus mehreren Hofkapellen zur Verfügung standen. Es orientiert sich an der Generalbasspraxis des norditalienischen Vokalkonzerts mit Gesangsstimmen und Instrumenten und verbindet den motettischen Stil des Frühwerks mit der italienischen Concerto-Praxis, wie sie beispielsweise von Giovanni Gabrieli in Venedig praktiziert wurde. Praetorius, der selbst nie in Italien war und seine Kenntnisse lediglich aus Notendrucken bezog, versuchte damit, die Neuerungen der italienischen Kompositionsweise im protestantischen Teil Deutschlands bekannt zu machen. Neue Differenzierungsmöglichkeiten durch Gesangsverzierungen und instrumentale Spielfiguren setzen das Spätwerk von den früheren Kompositionen ab. In das vielchörige Musizieren bezog Praetorius den gesamten Kirchenraum, die Emporen, bisweilen sogar den Platz vor der Kirche im Sinne venezianischer Mehrchörigkeit mit ein.

Mit seinem Bekenntnis „Mihi Patria Coelum“ („Mein Vaterland ist der Himmel“, Vorwort zu Terpsichore), dessen Abkürzung M. P. C. ebenso für „Michael Praetorius Creuzburgensis“ (Michael Praetorius aus Creuzburg) steht, verweist Praetorius mithilfe eines Wortspiels auf seine tiefe religiöse Verbundenheit, die seine Musik und sein gesamtes Leben prägten.

In die Musikgeschichte eingegangen ist Praetorius, der als äußerst gelehrt galt, auch wegen seiner musiktheoretischen Schriften, allen voran das zwischen 1615 und 1619 entstandene dreibändige Syntagma musicum zur Musizier- und Aufführungspraxis an der Schwelle von der Renaissance zum Frühbarock (zum kostenlosen Download hier). Besonders der zweite Band, eine umfangreiche Instrumentenkunde mit Bildanhang, gilt als die bedeutendste Quelle für die Erforschung des historischen Musikinstrumentenbaus.

Im zweiten Band De Organographia findet sich auch die Disposition der berühmten Beck-Orgel in der Gröninger Schlosskapelle, ein Zeichen für die herausragende Stellung dieses Instruments im Orgelbau der damaligen Zeit.

Disposition der Gröninger Schlosskirchen-Orgel im zweiten Band des Syntagma musicum, 1. Ausgabe, Wolfenbüttel 1619

Werke

Michael Praetorius hinterließ ein umfangreiches kompositorisches Werk, das er bereits zu Lebzeiten in 20 Bänden drucken ließ. Allein die 9 Bände der Musae Sioniae (1605–1610, „Zionsmusen“) enthalten 1244 geistliche Motetten und Choralbearbeitungen. Darunter sind sowohl schlichte Werke in Form einfacher Kantionalsätze für den gottesdienstlichen Gebrauch, wie er sie aus der Lateinschule kannte, als auch kunstvolle und größer besetzte Konzertkompositionen.

Seine einzige reine Instrumentalkomposition ist die 1612 erschienene Terpsichore, eine Sammlung von französischen Tanzsätzen. Hinzu kommen 10 Orgelwerke, die in größere Sammlungen (Teil III der Musae Sioniae und Hymnodia Sionia) eingebettet sind.

Die heute vermutlich bekannteste Komposition von Praetorius ist sein vierstimmiger Satz von Es ist ein Ros entsprungen, der Nummer 30 im Evangelischen Gesangbuch (EG 30).

Michael Praetorius, Musae Sioniae, 6. Theil (No.53), Wolfenbüttel 1609, Sopranstimme (Cantus)

 

Werkauswahl:

Musae Sioniae, 9 Teile (1605–1610)
Missodia Sionia (1611)
Hymnodia Sionia (1611)
Terpsichore (1612)
Polyhymnia caduceatrix et panegyrica (1619)
Polyhymnia exercitatrix (1620)

Weitere Informationen dazu sind hier zu finden.

Klangbeispiele

Wachet auf, ruft uns die Stimme, aus Polyhymnia caduceatrix et panegyrica (1619), Musica Fiata – La Capella Ducale, Roland Wilson

Terpsichore Musarum (1612), Ricercar Consort / La Fenice

Es ist ein Ros entsprungen, Dresdner Kreuzchor

Jubilate Deo, Kanon, Fairfield County Children’s Choir

CD-Einspielung:

Michael Praetorius: Orgelwerke, Jean-Charles Albitzer an der Scherer-Orgel in Tangermünde, jpc mit Hörbeispielen

Noten

Zahlreiche Werke von Praetorius sind in der Petrucci Music Library / IMSLP als digitalisierte Notendrucke zu finden (https://imslp.org/wiki/Category:Praetorius,_Michael).

Es ist ein Ros entsprungen im Satz von Michael Praetorius (PDF-Datei zum Download)

Literatur

Arno Forchert, Art. „Praetorius (Komponisten), Michael“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, 2016ff., veröffentlicht Januar 2021, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/392419

Siegfried Vogelsänger, Michael Praetorius. Biographie, Wolfenbüttel 2010, http://www.michael-praetorius.de/.

Links

Michael-Praetorius-Gesellschaft e. V. Creuzburg

Die SLUB im Gespräch: Musikwissenschaftlerin Dr. Beate Schmidt über Komponist Michael Praetorius

Michael-Praetorius-Jahr 2021, Festjahr in Wolfenbüttel zum 400. Todestag von Michael Praetorius

Anregungen für den Unterricht

Auch der berühmte und ins musikkulturelle Allgemeingut eingegangene Kanon Viva, viva la musica stammt von Michael Praetorius.

“Viva, viva la musica”, 3-stimmiger Kanon von Michael Praetorius

 

Die beiden Kanons Viva, viva la musica und Jubilate deo (s. o.) können leicht mit Schülern im Unterricht gesungen oder auf Instrumenten gespielt werden. So ist es möglich, überregional bekanntes Kulturgut als Teil der regionalen Musikkultur unseres Bundeslandes in das Bewusstsein der Schüler*innen zu rücken. Eine weiterführende Unterrichtseinheit über Leben und Wirken von Michael Praetorius als Organist in Halberstadt könnte sich anschließen.

Ein weiterer Kanon von Michael Praetorius zum Musizieren mit Schülern ist auf dem Steckbrief zur Orgel in der Liebfrauenkirche in Wernigerode zu finden, s. Landesbildungsserver unter Regionalkultur.

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

SM 2021