Komponist*innen

Reubke, Julius (1834–1858)

* 23. März 1834 in Hausneindorf (Harz), † 3. Juni 1858 in Pillnitz

Julius Reubke

Biografie

Im nördlichen Harzvorland liegt am Unterlauf der Selke, kurz vor ihrer Einmündung in die Bode, die kleine Landgemeinde Hausneindorf, überragt vom Bergfried der ehemaligen preußischen Domäne. Hier befand sich die Orgelbauwerkstatt von Julius Reubkes Vater, Adolph Reubke (1805–1875). Er war einer der führenden Vertreter des Orgelbaus der Romantik im Deutschen Reich und hat mit seinen Bauten die Orgellandschaft Sachsen-Anhalts, insbesondere zwischen Harz und Magdeburg, geprägt.

Hausneindorf

 

Julius Reubke stammt aus einem musikaffinen Elternhaus. Neben seiner handwerklichen Tätigkeit als Orgel- und Klavierbauer pflegte Adolph Reubke die Hausmusik. Er selbst spielte Orgel und Klavier, Organisten gingen in dem geselligen Haus der Reubkes ein und aus, musikalische Gesellschaften wurden gegeben. In diesem musikalischen Umfeld wuchsen seine vier Söhne auf. Emil Reubke (1836–1884) erlernte das Cellospiel und übernahm vom Vater die Werkstatt (1872–1884). Er hatte eine ausgesprochene Doppelbegabung als innovativer Orgelbauer und leidenschaftlicher Orgelspieler, der für seine Improvisationskunst gerühmt wurde. Karl Reubke (1840–1860) wurde ebenfalls Orgelbauer und arbeitete in der väterlichen Werkstatt mit. Er verstarb früh. Otto Reubke (1842–1913) widmete sich der Musik und erhielt eine gründliche Ausbildung, u. a. bei dem Magdeburger Domorganisten August Gottfried Ritter, am Stern´schen Konservatorium in Berlin und bei Franz Liszt, für den er „einer der hervorragendsten Orgelspieler“ war (vgl. Gailit 1995, S. 18). Als Organist, Pianist und Komponist war er überwiegend ausübender Künstler, leitete verschiedene Chorvereinigungen, war Universitätsmusikdirektor in Halle/Saale, wurde zum Professor ernannt, hielt Vorlesungen und war Orgelrevisor für die Provinz Sachsen. Er gab die Werke seines früh verstorbenen Bruders Julius heraus.

Wohnhaus der Familie Reubke in Hausneindorf. Zeichnung auf Kreidetonpapier von Emil Reubke 1863

 

Von den vier Söhnen Adolph Reubkes war der älteste, Julius, der musikalisch talentierteste. Früh wurde seine außerordentliche Begabung von den Eltern entdeckt und gefördert. Er verdankte, ebenso wie der Komponist Albert Becker, seine musikalische Grundausbildung im Klavier- und Orgelspiel sowie in Harmonielehre und Improvisation dem in Quedlinburg lebenden Organisten und Pädagogen Hermann Bönicke (1821–1879). In dieser Zeit entstand sein Jugendwerk, ein kleines Trio für zwei Manuale und Pedal Es-Dur.

Mit 17 Jahren ging er nach Berlin und studierte am Stern´schen Konservatorium Klavier bei Theodor Kullak (1818–1882) und Theorie und Komposition bei dem bedeutenden Musiktheoretiker Adolf Bernhard Marx (1795–1866). In die Zeit seines dortigen Aufenthalts (bis 1856) fällt ein öffentliches Konzert dieser Institution, in dem er erstmals mit einer eigenen Ouvertüre hervortrat. Es wird angenommen, dass auch seine Mazurka E-Dur und das Scherzo d-Moll in Berlin komponiert worden sind.

1856 ging Julius Reubke, wohl auf Vermittlung durch Hans von Bülow (1830–1894) und Alexander Winterberg (1834-1914), mit denen er in seiner Berliner Zeit Kontakt hatte, als Schüler zu Franz Liszt nach Weimar und studierte Klavier und Komposition. Im geistigen Umfeld des Liszt-Kreises entstanden seine beiden großen Werke, welche ihn berühmt machen sollten, die großdimensionierte Klaviersonate b-Moll und die  lange monothematische Orgelsonate c-Moll “Der 94ste Psalm”.

Eine Bewerbung um die Organistenstelle an der Johanniskirche in Magdeburg scheiterte. Im Dezember 1857 wechselte er von Weimar nach Dresden in der Hoffnung, dass sich dort Möglichkeiten für seine weitere musikalische Laufbahn eröffnen würden. Nachdem sich bei ihm zunehmend Symptome der Schwindsuch bemerkbar machten, ging er Genesung suchend Ende Mai 1857 in den Kurort Pillnitz. Hier starb er im 25. Lebensjahr am 3. Juni 1858 und wurde bei der Kirche Maria am Wasser in Pillnitz-Hosterwitz beigesetzt. Sein Grab existiert nicht mehr, doch an der Kirche wurde 2015 von der Gesellschaft für Orgelfreunde eine Gedenktafel angebracht.

Auf der Burg in Hausneindorf kann das berührende Schicksal der Familie Reubke im Orgelbauer-Museum nachvollzogen werden.

Gedenktafel für Julius Reubke mit einem Ausschnitt aus dem 94. Psalm, gestiftet von der Gesellschaft der Orgelfreunde

Musikhistorische Bedeutung

Auf seine beiden großen symphonischen Werke, die Orgelsonate c-Moll “Der 94ste Psalm” und die Klaviersonate b-Moll, gründet sich Julius Reubkes Bedeutung für die Musik des 19. Jahrhunderts. Zum Weimarer Kreis von Franz Liszt gehörend, griff er dessen Konzept des „Poetisch-Musikalischen“ auf und führte die Idee, außermusikalische Inhalte wiederzugeben, mit auf ihren Höhepunkt. Beide Werke sind durch Liszts Orgelfantasie über Ad nos ad salutarem undam bzw. seine Sonate in h-Moll für Klavier angeregt, aber in der Behandlung des Themas, seiner Durchführung und formalen Struktur von individueller Qualität. Der Programmcharakter seiner Tondichtung kommt besonders in der Orgelsonate zum Ausdruck, welcher er bewusst die neun interpretierten Verse des Psalms vorangestellt hat.

Die große Anerkennung, die Reubke zu seiner Zeit im Weimarer Kreis um Liszt zuteil wurde, zeigt sich auch an den zahlreichen, teils pathetischen Nachrufen nach seinem frühen Tod, darunter ein Trauergedicht des Komponisten und Dichters Peter Cornelius anlässlich der Gedenkfeier in Weimar.

Werke

Julius Reubkes früh entstandene kleine Stücke deuten bereits später verwendete Kompositionsmittel an, wie klare strukturelle Überlegungen (Trio Es-Dur), qualitätsvolle Verzierungsfiguren (Mazurka E-Dur), Vorliebe für den Melodietopos Halbton + Terz (Mazurka E-Dur, Scherzo d-Moll) (vgl. Gailit 1995).

Titelblatt der Orgelsonate

 

Die monothematische Orgelsonate mit dem Titel Der 94ste Psalm wurde zu einem Schlüsselwerk der deutschen Orgelromantik. Reubke hat sie selbst am 17.06.1857 an der zwei Jahre zuvor eingeweihten Ladegast-Orgel in Merseburg im Rahmen eines Domkonzerts uraufgeführt. Mit ihr schuf er eine große symphonische Dichtung, eine Orchestermusik für die Orgel. Obwohl einsätzig, lässt sich eine deutliche Dreiteilung erkennen, welche der Dramatik des Psalmtextes folgt: Klage (Einleitungsfantasie), Trost (ruhiger Mittelteil) und Zuversicht (große Schlussfuge) (vgl. Schlaffke 2016). Das Werk wurde wegweisend für die Orgelliteratur bis hin zu Max Reger. Die „orgelmäßige“ Anlage mit selbstständiger Rolle des Pedals und klanglicher Ausschöpfung der Orgel in registrier- und satztechnischer Hinsicht zeigt seine Vertrautheit mit technischen und ästhetischen Änderungen des Orgelbaus seiner Zeit. So hatte er wenige Wochen vor der Uraufführung die von seinem Vater erbaute Orgel in Veltheim/Fallstein (II/19/P) mit einem anspruchsvollen Programm (Bach, Liszt, Mendelssohn, zwei eigene freie Choralfantasien) eingeweiht. Franz Brendel, welcher der Uraufführung im Merseburger Dom beiwohnte, schrieb darüber: „Nach dem Vortrag der Sonate konnte man nicht im Zweifel sein über die ganz entschiedene, hervorragenden Befähigung als Componist sowol, wie als ausführender Künstler. Phantasiereichtum und große Frische der Erfindung zeichnen ihn aus.“ (NZfM 1857, Bd. 46, S. 278)

Die ebenfalls groß angelegte Klaviersonate b-Moll, gewidmet seinem verehrten Meister Liszt, erfordert außerordentliche spieltechnische Fähigkeiten. Noch besser als in der Orgelsonate ist ihre dreisätzige Form erkennbar (vgl. Jeffe 2016). Obwohl ebenfalls von Liszt beeinflusst, geht sie in ihrer formalen und orchestralen Klanglichkeit eigene Wege und folgt dem Schema dramatisch – lyrisch – dramatisch. Besser als jede Beschreibung kann ein Hörvergleich die Unterschiede zu Liszt Klaviersonate h-moll verdeutlichen. Liszt war tief bewegt und sprach sich bewundernd über die Sonate aus, als der amerikanische Pianist William Dayas sie im Jahre 1885 in seiner Gegenwart vortrug.

Klangbeispiele

Orgelsonate „Der 94ste Psalm”, Andrew Dewar, Ladegast-Orgel im Merseburger Dom

Klaviersonate b-Moll, Charlotte Steppes, Gewandhaus Leipzig

Scherzo für Klavier op. 3, Mario Patuzzi

Trio in Es-Dur, von Julius Reubke mit 13 Jahren geschrieben, Michael Leyk (einführende Worte und Orgel)

CD-Einspielung:

Julius Reubke Sonatas, Klaviersonate c-Moll „Der 94. Psalm” (Transkription der Orgelsonate von August Stradal), Klaviersonate b-Moll; Adagio für Klavier aus der Orgelsonate „Der 94. Psalm” in der Transkription durch den Komponisten , Markus Becker (Klavier), bei jpc (mit Klangbeispielen)

Noten

Mehrere Werke von Julius Reubke gibt es zum kostenlosen Download in der Petrucci Music Library/IMSLP hier.

Literatur

Michael Gailit, Julius Reubke (1834-1858) – Leben und Werk, Langen bei Bregenz 1995.

Jeffe, Sara, Art. „Reubke, (Friedrich) Julius“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2005, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/article?id=mgg10750&v=1.0&rs=id-6d23ac50-bc88-bfb6-a128-67a831ab4a57.

Frieda Ritter, geb. Reubke, Die Orgelbauerfamilie Reubke aus Hausneindorf, hrsg. vom Kultur- und Heimat-Geschichts-Verein Hausneindorf, Quedlinburg 1993.

David Schlaffke, Reubke-Orgel Niederdorla (Audio-CD), Querstand 2016, Begleitheft S. 14.

Lutz Wille, Die Orgelbauerfamilie Reubke in Hausneindorf am Harz und ihre Instrumente 1838-1884, Denkmalorte – Denkmalwerte, Bd. 6, hrsg. vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle/Saale 2017.

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Lutz Wille 2020