Adolph Reubke (1805–1875) und sein Sohn Emil (1836–1884) gehörten mit Wilhelm Sauer (Frankfurt/Oder), Johann Friedrich Ladegast (Weißenfels) und Eberhard Friedrich Walker (Ludwigsburg) zu den führenden Orgelbauern der Romantik im 19. Jahrhundert. Im Gegensatz zu den Genannten, die aus einer väterlichen Werkstatt hervorgingen und von denen sich Lehr- und Wanderjahre nachweisen lassen, war Adolph Reubke als Autodidakt eine Ausnahmeerscheinung und sein Sohn lernte in der väterlichen Werkstatt. Sie mussten sich ihren Ruf erst erarbeiten. Ein weiterer Sohn, Karl Reubke (1840-1860), lernte ebenfalls beim Vater und war am Aufbau der Orgel im Magdeburger Dom beteiligt, starb aber früh.
Die Werkstatt existierte von 1838 bis 1884 in dem landwirtschaftlich geprägten Dorf Hausneindorf bei Quedlinburg und wurde danach von Ernst Röver übernommen und als „Orgelbau-Anstalt mit Dampfbetrieb“ weitergeführt.

(Die unterstrichenen Begriffe finden sich im Orgelglossar.)
Seine erste Orgel baute Adolph Reubke 1838 für St. Gertrauden in Magdeburg-Buckau. Es war ein einmanualiges Werk und überzeugte. So folgten in den darauf folgenden Jahren neben kleineren auch größere zweimanualige Werke wie beispielsweise in Gröningen, Nachterstedt oder Egeln. In dem Magdeburger Domorganisten und Komponisten August Gottfried Ritter (1811–1885) fand Reubke einen aufgeschlossenen Orgelsachverständigen und Förderer. In einer Reihe seiner Dispositionen ist Ritters Handschrift erkennbar. Ihm verdankt Reubke auch den Auftrag für den Bau der großen Domorgel in Magdeburg. Sie entstand zwischen 1856 und 1861 und war mit 88 Registern, vier Manualen und zwei (!) Pedalen damals die größte Orgel Preußens und begründete seinen Ruhm. Allerdings wurde sie schon 1905 durch eine Orgel von Ernst Röver mit 100 Registern ersetzt, die im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde. Von 1838–1859 sind von Adolph Reubke bisher 26 Orgelbauten nachweisbar. Er baute nur Werke mit Schleifladen.


Ab 1860 war seinen Sohn Emil Mitinhaber der Werkstatt, die nun als Reubke & Sohn firmierte, ab 1872 Alleininhaber. Er besaß eine ausgeprägte musikalische und orgelbautechnische Doppelbegabung und hat die Strömungen und technischen Entwicklungen im Orgelbau seiner Zeit aufmerksam verfolgt, theoretisch analysiert und praktisch erprobt. In die Phase der Zusammenarbeit von Vater und Sohn fällt der Bau von Instrumenten mit Kegelladen und eigener Ventilkonstruktion – unregulierbaren, belederten, aufschlagenden Ventilen mit aufgesetzten Bleiplatten anstelle von kegelförmigen Ventilen – sowie mechanischer Traktur.
In der Zeit zwischen 1860 und 1871 haben wenigstens 25 Orgelbauten die Werkstatt verlassen, Emil Reubke hat nach 1871 bis zu seinem Tod weitere 28 Orgeln vollendet. Als Erster im damaligen Deutschen Reich hat Emil die pneumatische Kastenlade entwickelt und zwischen 1881 und 1884 in sechs Orgelwerke eingebaut; jenes in St. Vitii zu Badeborn ist erhalten. Er gilt als Vorreiter der Pneumatisierungswelle, die nach seinem frühen Tod einsetzte. Seine letzte Orgel in Hamburg-Uhlenhorst wurde von dem Nachfolger in der Hausneindorfer Werkstatt, Ernst Röver, fertig gebaut.

Die Reubkes haben schätzungsweise 100 Orgeln gebaut, 80 konnten dokumentiert werden. Allein in den Kirchen Magdeburgs entstanden im Laufe ihres Wirkens neun Orgeln. Das nördlichste Instrument steht in Kyritz/Brandenburg, das südlichste in Niederdorla bei Mühlhausen/Thüringen. Doch die meisten Werke wurden in den Dörfern und kleinen Landstädten zwischen Harz und Magdeburg aufgestellt. Bei Ausschreibungen konkurrierte die Firma mit Angeboten der Orgelbauer Sauer, Ladegast und Walker.

Gerühmt wurden von Orgelsachverständigen die feine Intonationskunst der Reubkes, ihre charakteristischen zarten Flötenstimmen und die gut gebauten Streicher-Register. Weitgehend authentisch haben sich aus der Werkstatt 13 Orgeln erhalten, 10 davon in Sachsen-Anhalt. Alle sind inzwischen restauriert worden und spielfähig, sodass es möglich ist, ihren vollendeten Klang zu erleben. Das größte Instrument steht in Kyritz (40/III+Pedal), das kleinste im Telemannzentrum in Magdeburg (4/I+angehängtes Pedal).
Obwohl Emil Reubke, der Erfinder der pneumatischen Kastenlade, einer der führenden Orgelbauer im damaligen Deutschen Reich war, ging die Zeit, bedingt durch seinen unerwarteten frühen Tod im Alter von 48 Jahren, rasch über diese bedeutende mitteldeutsche Orgelbauwerkstatt hinweg. Auf der Burg in Hausneindorf können ihre Entwicklung und das berührende Schicksal der Familie, zu welcher auch der berühmte früh verstorbene Komponist und Liszt-Schüler Julius Reubke (1834–1858) gehörte, im Orgelbauer-Museum nachvollzogen werden.

Klangbeispiele
Hausorgel für A. G. Ritter (4/I + angeh. Pedal), Telemannzentrum Magdeburg
A. G. Ritter: Auf meinen lieben Gott (op. 29,3; gespielt von Ulrike Kern, Goslar)
Orgel in St. Petri/Brumby (17/II + Pedal)
Franz Liszt: Meine Seel´ erhebt den Herrn (gespielt von Ulrike Kern, Goslar)
Orgel in St. Marien/Kyritz (40/III + Pedal)
Carl Bratfisch: Moderato (Manuskript; gespielt von Michael Schulze, Kyritz)
CD-Einspielungen:
David Schlaffke, Reubke-Orgel Niederdorla (Querstand)
Ulrike Kern/Michael Schulze, Orgeln aus der Reubke-Werkstatt, Heimatverein Hausneindorf
Bezug: kantor@kirchengemeinde-kyritz.de
Video
Auf der Emil-Reubke-Orgel in Niederdorla (31/III +Pedal) erklingt das Trio Es-Dur seines Bruders Julius Reubke, gespielt von David Schlaffke, Organist der Sloterkerk in Amsterdam.
Literatur
Kultur- und Heimat-Geschichts-Verein Hausneindorf (Hrsg.), Die Orgelbauerfamilie Reubke aus Hausneindorf, Hausneindorf 1993.
Lutz Wille, Die Orgelbauwerkstatt Reubke in Hausneindorf am Harz und ihre Instrumente 1838–1884, Herausgeber Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle (Saale) 2017 (mit CD).
Lutz Wille, 350 Jahre Orgelgeschichte in der St. Laurentius-Kirche zu Benneckenstein: 1660–2010, Benneckenstein 2010.
Link
Heimatverein Hausneindorf e. V.
Lutz Wille 2020