Komponist*innen

Theile, Johann (1646–1724)

* 29. Juli 1646 in Naumburg, † 22. Juni 1724 ebd.

Johann Theile, Kupferstich 1667, Bibliothek der Hansestadt Lübeck, Reproduktion im Heinrich-Schütz-Haus Weißenfels

Biografie

Der Komponist, Musiktheoretiker und Kompositionslehrer Johann Theile wurde am 29. Juli 1646 in Naumburg als Sohn eines Schneiders geboren. Ersten Musikunterricht erhielt er bei Johann Scheffler, dem damaligen Kantor des Magdeburger Doms. Zu dieser Zeit besuchte Theile das Gymnasium in Magdeburg. Außerdem war er Kompositionsschüler bei Heinrich Schütz, wobei nicht eindeutig belegt ist, in welchem Jahr der Unterricht stattfand. Wahrscheinlich ist, dass Theile während seiner Zeit als Jurastudent an der Universität Leipzig (Einschreibung 1666) kurze Reisen nach Weißenfels unternahm, wo sich Schütz seit 1657 hauptsächlich aufhielt. Während des Studiums war Theile außerdem sowohl als Sänger als auch Gambist tätig und spielte für die Bürger der Oberschicht. Später ging er nach Stettin, um dort als Musiklehrer zu arbeiten, sowie nach Lübeck, wo er mit Dietrich Buxtehude befreundet gewesen sein soll.

Im Jahr 1673 wurde Theile von Herzog Christian Albrecht von Schleswig-Holstein-Gottorf nach Schloss Gottorf (bei Schleswig) berufen, um dort als Hofkapellmeister zu arbeiten. Ein Jahr später heiratete er Catharina Wasmuth, mit der er drei Söhne hatte. Sein ältester Sohn, Benedict Friedrich, wurde wie der Vater Musiker und übte später das Organistenamt in der Naumburger Kirche St. Wenzel aus, wobei ihm die Bekanntheit des Vaters vermutlich zu der Stelle verhalf. Dies ist zumindest einem Briefwechsel zwischen Theile und Johann Mattheson von 1718 zu entnehmen.

Als der Herzog von Holstein, bedingt durch den Krieg mit König Christian V. von Dänemark, zwei Jahre nach Theiles Amtsantritt nach Hamburg flüchtete, ging auch Theile nach Hamburg und verbrachte dort ein paar Jahre als freischaffender Musiklehrer. In Hamburg entstand zu dieser Zeit das erste bürgerliche Opernhaus in Deutschland, die Oper am Gänsemarkt (Eröffnung am 2. Januar 1678). Johann Theile war mit seinen Singspielen Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch (genannt auch Adam und Eva) und Orontes, der verlohrne und wieder gefundene Königliche Printz aus Candia (Autorschaft nicht gesichert) der erste Komponist für dieses Haus. Zuvor hatte es in den Hamburger Jahren allerdings auch berufliche Rückschläge gegeben. Sowohl seine Bewerbung um die Stelle als Thomaskantor (1676) in Leipzig als auch seine Bemühungen, Opern „italienischer Art“ im Hamburger Dom aufführen zu können (1677), waren erfolglos geblieben. 1685 (oder 1686) ging Theile in Nachfolge Johann Rosenmüllers nach Wolfenbüttel, wo ihm eine feste Stelle als Kapellmeister angeboten wurde, welche er auf Wunsch des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel antrat. Er war hier verantwortlich für die Kirchenmusik.

Titelblatt zur Oper „Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch“

 

Ab 1691 übte Theile das Amt des Hofkapellmeisters in Merseburg aus, zunächst im Dienst des Herzogs Christian II., soll dort allerdings nur bis zu dessen Tod im Jahr 1694 geblieben sein (vgl. Grapenthin 2016). Da Theile sich jedoch selbst auch später noch als “Hochf. Sächsisch-Merseburgischer Capellmeister” bezeichnete (vgl. ebd.), könnte er seine Stellung am Merseburger Hof auch in den Folgejahren beibehalten haben. Möglicherweise stand er nun im Dienst des noch minderjährigen Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Merseburg auch weiterhin der Hofkapelle vor, die nach dem Tod seines Vaters nicht aufgelöst worden war. Auch auf die Entwicklung des Opernbetriebs im nahegelegenen Naumburg nahm Theile Einfluss, wenn er zeitweise als Opernberater des Herzogs Moritz Wilhelm von Sachsen-Zeitz fungierte. Der Herzog war sehr musikbegeistert und hatte nicht nur 1702 den Bau des Opernhauses in Naumburg veranlasst, sondern hielt die musikalische Szene auch durch Auftragskompositionen für die Handelsmessen aufrecht, welche dort zu besonderen Festtagen (Neujahr, Ostern, Peter-Pauls-Tag) veranstaltet wurden. So wurden in Naumburg „musikdramatische Werke von ca. 1700 bis 1728 ausschließlich zu Messen aufgeführt“ (Alberts 2007, S. 176).

Als Berater des Herzogs gab Theile ebenfalls verschiedene Werke bei anderen Komponisten in Auftrag, darunter die Oper Valeria bei Gottfried Heinrich Stölzel, welche in der Naumburger Oper vorm Salztor zur Aufführung gebracht wurde. Mit eigenen Kompositionen trat Theile ab und zu im nahe gelegenen Weißenfels in Erscheinung. Außerdem brachte er 1708 in Merseburg sein Opus Musicalis Compositionis noviter elaboratum heraus, in welchem er 23 Messen, 8 Magnificat-Vertonungen sowie 12 weitere lateinische und ein deutsches kirchenmusikalisches Werk aus seiner Feder verzeichnete. (Vgl. Richter 2017, S. 279–281)

Nachweislich hielt sich Theile auch einige Zeit in Halle an der Saale auf, so im Jahr 1709, als er sich an der halleschen Universität immatrikulieren ließ und als Musiklehrer unterrichtet haben soll, sowie erneut im Jahr 1712. Für die letzten Jahren seines Lebens kehrte er zu seinem Sohn Benedict Friedrich nach Naumburg zurück, wo er 1724 verstarb.

Musikhistorische Bedeutung

Zu Lebzeiten war Theile sehr bekannt für seinen geschickten Umgang mit dem Kontrapunkt und galt als Gelehrter auf dem Gebiet. Er verfasste mehrere schriftliche Abhandlungen zu dem Thema. Besonders hervorzuheben ist das Musicalische Kunst=Buch. Dieses Lehrwerk zeigt anhand von Beispielen, wie man Kontrapunkte vielseitig einsetzen kann, und enthält zum Beispiel auch Permutationsfugen. Das sind Fugen, die einen mehrfachen Kontrapunkt haben. Theiles kontrapunktische Arbeit beeinflusste auch Johann Sebastian Bachs kompositorisches Schaffen. Eine Setztechnik etwa, bei der „die […] Themen in immer gleicher Reihenfolge durch alle Stimmen wandern, […] bietet das Vorbild für die Bachsche Vokalfuge“ (Grapenthin 2016).

Theile beherrschte außerdem den modernen, venezianischen Kirchenstil, soll sich dabei aber in den monodischen Partien mit Melismen zurückgehalten und vordergründiges Virtuosentum vermieden haben (vgl. ebd.).

Werke

Johann Theile komponierte vor allem geistliche Vokalmusik, wie zum Beispiel Messen, geistliche Konzerte, Motetten und Passionen. Unter seinen Werken befinden sich aber vereinzelt auch weltliche Stücke und Instrumentalmusik, zum Beispiel Sonaten.

Viele seiner Stücke existieren lediglich als Autograph oder sind verschollen, so auch Theiles drei Opern. Alles, was von ihnen heute noch erhalten ist, sind die Textbücher (zu finden u. a. hier).

Werkauswahl (nach MGG)
Werkkatalog Opus musicalis compositionis (1708)
Weltliche Arien und Canzonetten (1667)
Matthäus-Passion (1673)
Pars prima missarum (1673)
Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch (Hamburg 1678) (Oper)
Orontes (Hamburg 1678) (Oper; Autorschaft nicht gesichert)
Die Geburth Christi (Hamburg 1681) (Oper)

Traktate (Auswahl):
Gründlicher Unterricht von den gedoppelten Contrapuncten
Musicalisches Kunst=Buch (1691) (enth. Instrumentalstücke, Messen, kontrapunktische Stücke u.a.)
Von dem dreyfachen Contrapunct

Titelblatt der Matthäus-Passion von Johann Theile, Herausgeber: Friedrich Zelle (1845-1927), Denkmäler deutscher Tonkunst, Erste Folge; Bd.17, Leipzig: Breitkopf und Härtel, 1904. Plate D.D.T. XVII.

Klangbeispiele

Matthäus-Passion, Hamburger Ratsmusik

Geistliches Konzert („Gott hilf mir denn das Wasser gehet mir bis an die Seele“), Dorothee Mields (Gesang), Hamburger Ratsmusik , Simone Eckert (Dirigat)

Noten

Autograph Geistliches Konzert „Gott hilf mir denn das Wasser gehet mir bis an die Seele“

Matthäus-Passion (Breitkopf und Härtel)

(Johann Theile bei IMSLP: https://imslp.org/wiki/Category:Theile,_Johann)

Literatur

Susanne Alberts, „Das Naumburger Opernhaus zur Zeit Herzog Moritz Wilhelms zu Sachsen-Zeitz“, in: Kathrin Eberl-Ruf, Carsten Lange und Anette Schneider (Hrsg.), Musikkultur in Sachsen-Anhalt seit dem 16. Jahrhundert (= Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts, H. 42), Halle 2007, S. 176–183.

Robert Eitner, „Theile, Johann”, in: Allgemeine Deutsche Biographie 37 (1894), S. 670-672 [Online-Version]; URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117301116.html#adbContent.

Ulf Grapenthin, Art. „Theile, Johann”, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, New York, Kassel, Stuttgart 2016ff., zuerst veröffentlicht 2006, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/23718.

Willy Maxton, Johann Theile. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde einer Hohen Philosophischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität zu Tübingen, Osnabrück 1926, Neudruck 2004.

Maik Richter, Lateinische Ordinariumsvertonungen im lutherischen Gottesdienst in Mitteldeutschland zwischen 1640 und 1770 (= Forum Mitteldeutsche Barockmusik; 8), ortus Musikverlag, Beeskow 2017.

Links

Titelblatt zur Oper „Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch“

Textbuch: Original zum Durchklicken („Der erschaffene, gefallene und auffgerichtete Mensch“)

Materialien zum Download

Arbeitsblätter (PDF):

Der Komponist Johann Theile (Lösungsblatt für Lehrer*innen sowie das Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format auf dem Landesbildungsserver)

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Sarah Haimb 2023

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2023 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.