Instrumente

Rühlmann-Orgel in der St.-Mauritius-Kirche Zörbig

Rühlmann-Orgel op. 432

Orgelbauer

Wilhelm Rühlmann  jun. (12.03.1882–11.09.1964) erbaute die deutsche Orgel op. 432 spätromantischer Disposition im Jahr 1928 in der ortsansässigen Hoforgelbauanstalt Wilhelm Rühlmann.

Orgelgeschichte und technische Ausstattung

(Die unterstrichenen Begriffe finden sich im Orgelglossar.)

Die Rühlmann-Orgel wurde 1928 im erweiterten Gehäuse der Vorgängerorgel von 1819 eingebaut. Zu dieser Zeit musste das Windwerk, mit welchem gleichmäßig Druckluft (in der Fachsprache als „Wind“ bezeichnet) zur Tonerzeugung gebildet wird, noch händisch bedient werden. Damit die Kalkanten nicht dauerhaft den Blasebalg treten mussten, betätigte der Organist als Signal am Spieltisch einen Registerzug, der mit einem Glöckchen im Windwerk-Raum verbunden war. Heute dient dieser Registerzug als Ein- und Ausschalter für den Orgelmotor.

Die Zörbiger Orgel wird mit einer pneumatischen Spiel- und Registertraktur mit Kegel- und Taschenladen betrieben, bei der die Einstellungen der Betätigungselemente am Spieltisch mittels Luftdruck an die Pfeifen weitergeleitet werden, wodurch sich die Spielweise erleichtert. Jedoch kommt es aufgrund dieser Traktur im Winter zu Verzögerungen, da die Luft träger ist. Diese Verzögerung ist meistens für den Organisten spürbar, weshalb er sich bei seinem Spiel darauf einstellen muss.

Die Rühlmann-Orgel besteht aus insgesamt vier Werken, nämlich drei Manualen und einem Pedalwerk, hat insgesamt 40 Register und 1920 Pfeifen, womit sie größer ist als ihre Vorgängerin. Deshalb musste das Gehäuse vergrößert werden und das Prospekt der Vorgängerorgel konnte nur teilweise übernommen werden. Dies ist bei genauerem Hinsehen auch heute noch von außen zu erkennen.

Spieltisch

 

Das erste Manualwerk ist das Hauptwerk mit den meisten und lautesten Registern beziehungsweise Stimmen und dient überwiegend der Gemeindebegleitung. Das Hauptwerk ist die vordere große Pfeifenreihe. Die Zörbiger Orgel besitzt eine 4-Fuß-Harmonieflöte, die von dem französischen Orgelbauer Aristide Cavaillé-Coll inspiriert ist und in den hohen Lagen sehr angenehm klingt. Des Weiteren gibt es ein Bordunregister. Dieses hört sich an, als würde es im Pedal gespielt werden. Um diesen Effekt zu erhalten, deckelte Rühlmann die entsprechenden Pfeifen. Das heißt,  er baute die Pfeifen in der Originalbreite, jedoch nur halb so hoch, und setzte auf diese einen Deckel (s. „gedackte Pfeifen“ im Orgelglossar). So konnte er in der Höhe Platz sparen und trotzdem tiefe Töne ermöglichen, die ohne Deckel von Pfeifen erzeugt würden, die für das Orgelgehäuse zu groß gewesen wären.

Im Bereich der Streichregister ist im ersten Manual eine schmal mensurierte Gambe vertreten. Im unteren linken Teil des ersten Manuals sind Registerzüge, die verschiedene Kopplungen der Manuale ermöglichen. Es ist eine Kopplung von Manual zu Manual (von oben nach unten), von Manual auf Pedal (Pedalkopplung), eine Superoktavkopplung (beispielsweise kann ein Ton vom 2. Manual im 1. Manual eine Oktave höher erklingen) und eine Suboktavkopplung (Ton erklingt eine Oktave tiefer) ausführbar.

Spieltisch mit Firmenschild

 

Das Oberwerk (zweites Manual) befindet sich über dem mittleren Holzbalken (über dem Hauptwerk). In der Vorgängerorgel wurden über die Zeit zahlreiche Veränderungen am Oberwerk vorgenommen, weshalb man sich letztendlich entschied, ein komplett neues Orgelwerk in das Gehäuse einzubauen und Rühlmann damit zu beauftragen. Rühlmann baute in diesem Manual unter anderem eine Doppelflöte mit 2 Labien (Kernspalten) ein, wodurch diese klanglich an eine Blockflöte erinnert. Zudem ergänzte er dieses Manual mit einer Blockflöte und einem Nachthorn (laute Flöte). In den Streichregistern sind überdies Geigenprincipale, die enger mensuriert sind, als es üblich ist, eine Quintadena (quintlastiger Ton) und eine Gemshorn-Quinte (2 2/3-Quinte) vertreten.

Im dritten Manual bediente sich Rühlmann einer romantischen Erfindung, die zunächst nur in Frankreich verbreitet und von Cavaillé-Coll entwickelt worden war, zu dem Rühlmann eine Studienreise unternommen und diese Weiterentwicklung somit nach Deutschland gebracht hatte. Hierbei wurde das Register in einen großen Holzkasten mit Jalousien gesetzt, wodurch Dynamik erzeugt werden konnte. Dieses Manual wird deshalb als Schwellwerk bezeichnet und kann mithilfe des Schwelltritts im Pedalwerk reguliert werden. In diesem Manual setzte Rühlmann neben anderen Pfeifen eine 8-Fuß-Portunalflöte  und eine Rohrflöte ein, die ebenfalls eine gedeckte Pfeife ist, aus der jedoch zusätzlich ein Rohr aus Zinn herausragt.

Jalousien für Dynamik

 

Das Pedalwerk ist in zwei Pedaltürmen untergebracht, die die Seiten der Orgel begrenzen, und erzeugt vor allem sehr tiefe, aber auch recht hohe Töne, wodurch es möglich ist, Akkorde zu spielen. Die Orgel in Zörbig besitzt zudem einen Schwelltritt auf dem Pedalwerk. Rühlmann verbaute auch hier meist gedeckelte 16-Fuß-Register, so beispielsweise den etwas schnarrenden 16-Fuß-Harmonika-Bass und den prägnanten Subbass.

Die Familie der Lingualpfeifen, auch Zungenpfeifen genannt, imitiert Blech- und Holzbläser. Da sich diese Pfeifen sehr schnell verstimmen, können sie in der Rühlmann-Orgel op. 432 extra an- und abgekoppelt werden, sodass ein stimmiges Spiel trotz verstimmter Lingualpfeifen möglich ist.

In den 1940er-Jahren nahm Rühlmann eine Veränderung an der 2-Fuß-Oktave im 1. Manual vor, um dem barocken Klang wieder etwas näherzukommen, indem er diese durch eine 1-Fuß-Oktave ersetzte und somit etwas Höhe mit eingebracht wurde. Grundsätzlich ist das zweite Manual als Gegenstück des ersten Manuals anzusehen, da es weniger glänzend klingt. Das dritte Manual dient der Ergänzung beziehungsweise erscheint als Echo des ersten Manuals.

Die Rühlmann-Orgel hat verschiedene Spielhilfen. Eine dieser Hilfen ist die freie Kombination 1 und 2. Hierbei drückt man die erste Kombination und stellt sich die entsprechenden Register zusammen, dann betätigt man den Knopf für die zweite Kombination und wählt ebenfalls die gewünschten Register und zuletzt stellt man die zuerst zu erklingende Kombination ein. Durch Knopfdruck sind dann drei selbstgewählte Registerkombinationen spielbar. Um die Kombinationen 1 und 2 auszuschalten, muss der Auslöser betätigt werden. Des Weiteren wurden vom Orgelbauer Tasten für piano (alle Register leise), mezzoforte, forte und tutti (alle Register erklingen) konzipiert.

Im Fußpedal ist eine Crecendowalze verbaut, bei der durch das Rollen immer mehr Register erklingen (bis zu 40 Register). Diese Walze ist eine weitere Möglichkeit, um eine gewisse Dynamik zu erzeugen.

Fußpedal mit Crescendowalze

 

Im Zuge der Orgelbewegung wurde die Disposition einigen Änderungen unterzogen. Ein Flötenregister als Abstufung zur 8-Fuß-Hohlflöte im Hauptwerk wurde durch eine 2-Fuß-Oktave ersetzt. Eine 1-Fuß-Oktave fand ihren Platz anstelle eines 8-Fuß-Salicionals im Oberwerk. Auch das 8-Fuß-Cello wurde durch einen 2-Fuß-Choralbass ausgetauscht, bis der Orgelbauer Rainer Wolter das 8-Fuß-Cello rekonstruierte und wieder in die Orgel einsetzte.

Zu DDR-Zeiten wurden an der Orgel kaum Wartungen durchgeführt, weshalb vor der Restaurierung durch Rainer Wolter ab 2004/2005 lediglich das Pedalregister und Teile des zweiten Manuals funktionstüchtig waren.

Im Allgemeinen ist die Orgel zu groß für die St.-Mauritius-Kirche. Für Rühlmann jedoch diente sie als Repräsentationsorgel. Die mit allen „Spielereien“ ausgestattete Orgel diente als Zeugnis seiner „Meisterlichkeit.“ So sind im Prospekt der Orgel auch einige Zinkpfeifen verbaut, die lediglich dem schönen Aussehen dienen und nicht mit dem Spieltisch verbunden sind. Die Orgel ist sehr breit klingend und weniger facettenreich trotz der vielen hohen Register. Dies bietet den Vorteil, dass sich die Register gut mischen. Allerdings kann es jedoch auch zu einem leicht matschigen Klang führen.

Zu Ehren Rühlmanns findet seit 2006 jährlich das Internationale Rühlmannorgel-Festival statt. Es ist das größte Orgelfestival in Mitteldeutschland und wurde von Kantor Matthias Müller zusammen mit dem letzten Orgelbauer der Familie Rühlmann, Albrecht Rühlmann, gegründet.

 

Ich danke Herrn Dr. Wilfried Ilse, Herrn Matthias Müller, Herrn Stefan Auert-Watzik und Elia Schnaible vielmals für die Unterstützung zur Erstellung dieses Beitrages!

Quellen

Elia Schnaible aus Zörbig verdankt die Verfasserin wertvolle Auskünfte zur Orgel.

Orgelbau-Anstalt von Wilhelm Rühlmann, Zörbig (https://www.orgelbauanstalt-ruehlmann.de/opus-400-467#&gid=1638832051&pid=33, letzter Aufruf: 01.06.2020, 16.59 Uhr)

Die Rühlmanns privat (https://www.orgelbauanstalt-ruehlmann.de/privat, letzter Aufruf: 01.06.2020, 17.23 Uhr)

Links

Orgelbau Rühlmann, Zörbig

Freunde der Orgelbauanstalt von W. Rühlmann

orgelbauanstalt-ruehlmann.blogspot

Video (Link)

Die Orgel – ungewohnte Einblicke in das Instrument des Jahres 2021
Das anschauliche Video von KMD Martina Pohl und Ulrike Großhennig bietet Schüler*innen die Möglichkeit, am Beispiel der Hildebrandt-Orgel in Sangerhausen in das Innere einer Orgel zu schauen, die Funktionsweise kennenzulernen, Fragen zu stellen und sich Detailwissen anzueignen. Das Video ist für schulische Zwecke genauso geeignet wie für Interessierte an diesem einzigartigen Instrument.

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Steckbrief der Orgel der St.-Mauritius-Kirche in Zörbig (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Powerpoint-Präsentation:

Von der Taste zum Ton (Eine kleine Führung durch die Orgel), Autorin: Friederike Heckmann

Von der Taste zum Ton (PDF-Datei)

Lisa-Maria Grauwinkel 2020, letzte Aktualisierung Mai 2021

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2020 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.