* 11. Mai 1715 in Weimar, † 27. Mai 1739 in Jena

Ist Sangerhausen in Sachsen-Anhalt eine Bach-Stadt? „Es sind immer nur kurze, episodenhafte Abschnitte, die Johann Sebastian Bach mit der Stadt Sangerhausen verbinden“, schreibt die Sangerhäuser Kantorin Martina Pohl im Booklet ihrer CD-Einspielung von Bach-Werken an der Zacharias-Hildebrandt-Orgel in der Jacobikirche Sangerhausen (s. u. Links). Hier war sein Sohn Johann Gottfried Bernhard Organist und auch der „alte“ Bach hatte sich bereits im Jahr 1702 um dieselbe Stelle beworben.
Biografie
Johann Gottfried Bernhard Bach war der dritte überlebende Sohn von Johann Sebastian Bach und dessen erster Ehefrau Maria Barbara nach Wilhelm Friedemann (* 1710) und Carl Philipp Emanuel (* 1714). Ältestes Kind war die 1708 geborene Tochter Catharina Dorothea. Ein weiterer Sohn und eine Tochter waren 1713 bereits kurz nach der Geburt gestorben, ein im Jahr 1718 geborener Sohn starb mit einem Jahr.
Johann Gottfried Bernhard kam in Weimar zur Welt, wo sein Vater von 1708 bis 1717 Kammermusikus und Organist sowie ab 1714 auch Konzertmeister am Hof war. Nach dem Tod der Mutter im Jahr 1720 und der Wiederheirat des Vaters mit Anna Magdalena Wilcke wechselte die Familie nach fünfeinhalb Jahren am anhaltinischen Hof in Köthen (1717–1723) nach Leipzig, wo Johann Sebastian Bach 1723 Thomaskantor wurde. Johann Gottfried Bernhard besuchte dort die Thomasschule und erhielt eine musikalische Ausbildung durch seinen Vater.
Wenig ist über den dritten Sohn Bachs bekannt. Er wurde auf Empfehlung seines Vaters nach einem Probespiel am 16. Juni 1735 Organist an der Marienkirche in Mühlhausen. In der thüringischen Stadt war Johann Sebastian Bach selbst 1707/08 etwa ein Jahr lang als Organist an der Divi-Blasii-Kirche tätig gewesen.
Im Jahr 1737 wurde Johann Gottfried Bernhard nach einem Vorspiel am 13. Januar zum Organisten an die Jacobikirche in Sangerhausen berufen, wieder verbunden mit Empfehlungsschreiben des Vaters. Auf dieselbe Stellung hatte sich Johann Sebastian bereits als 17-Jähriger im Jahr 1702 beworben und nach einem erfolgreichen Probespiel auch den Zuschlag bekommen. Lediglich durch das Veto des Landesherrn Herzog Johann Georg von Sachsen-Weißenfels wurde mit Johann August Kobelius schließlich ein anderer Kandidat bevorzugt.

Bereits nach gut einem Jahr im Amt verschwand Johann Gottfried Bernhard aus Sangerhausen und ließ einen Schuldenberg zurück. Sein Aufenthaltsort war auch dem Vater, von dem einmalig im Mai 1737 eine Reise nach Sangerhausen nachgewiesen ist (vgl. Wolff 2000, S. 572), nicht bekannt. In einem Brief Johann Sebastians an den Sangerhäuser Ratsherrn und späteren Bürgermeister Johann Friedrich Klemm vom 24. Mai 1738 heißt es:
„Meinen (leider mißrathenen) Sohn habe seit vorm Jahre, da die Ehre hatte von Eu: HochEdlen viele Höfligkeiten zu genießen, nicht mit einem Auge wieder gesehen. Eu: HochEdlen ist auch nicht unwißend, daß damahln vor selbigen nicht alleine den Tisch, sondern auch den Mühlhäuser Wechsel (so seinen Auszug vermuthlich damahlen causirete) richtig bezahlet, sondern auch noch einige Ducaten zu Tilgung einiger Schulden zurück ließ, in Meynung nunmehro ein ander genus vitœ zu ergreiffen. Ich muß aber mit äußerster Bestürtzung abermahligst vernehmen, daß er wieder hie und da aufgeborget, seine LebensArth nicht im geringsten geändert, sondern sich gar absentiret und mir nicht den geringsten part seines Aufenthalts biß dato wißend gemacht. Waß soll ich mehr sagen oder thun? Da keine Vermahnung, ja gar keine liebreiche Vorsorge und assistence mehr zureichen | will, so muß mein Creütz in Gedult tragen, meinen ungerathenen Sohn aber lediglich Göttlicher Barmhertzigkeit überlaßen, nicht zweiflend, Dieselbe werde mein wehmüthiges Flehen erhören, und endlich nach seinem heiligen Willen an selbigem arbeiten, daß er lerne erkennen, wie die Bekehrung einig und allein Göttlicher Güte zuzuschreiben.“ (Zit. n. Otterbach 1985, S. 53)
Der alte Bach, der demnach wohl bereits in Mühlhausen für die Schulden des Sohnes aufgekommen war, weigerte sich dieses Mal und bestand darauf, zunächst von seinem Sohn selbst ein „Geständniß“ zu erhalten. Nichtsdestotrotz wirft der Brief einen Blick auf den anscheinend unsteten, ausschweifenden und schwierigen Charakter Johann Gottfried Bernhards, der dem Vater offensichtlich Kummer bereitet hat.
Im Jahr 1739 tauchte Johann Gottfried Bernhard in Jena auf, wo er sich im Januar als Student der Rechte an der Universität immatrikulierte. Wenig später verstarb er mit 24 Jahren an „hitzigem Fieber“.

Musikhistorische Bedeutung
Von Johann Gottfried Bernhard Bach sind keine Kompositionen bekannt. Er soll jedoch ein talentierter Organist und Musiker (Flötist) gewesen sein. Unter den wenigen Zeitzeugnissen, die uns heute vorliegen, ist auch das Empfehlungsschreiben seines Vaters für die Organistenstelle in Mühlhausen, in dem dieser seinen Sohn als für das vakante Amt „vollkommen geschickt und vermögend“ bezeichnet (Brief an Tobias Rothschier vom 2. Mai 1735, vgl. Otterbach 1985, S. 43).
Überliefert ist ein Brief von Johann Gottfried Bernhard Bach selbst an die „Eingepfarrten der Marienkirche in Mühlhausen“, datiert vom 2. September 1735. Hier beschwert es sich darüber, dass er der Witwe seines Vorgängers für ein halbes Jahr die Hälfte seines Lohns sowie eine bestimmte Menge Brennholz abgeben sollte, wie das zu der Zeit bei Pfarrerswitwen üblich war. Er schreibt u. a. von der „Unbilligkeit, daß ich die Arbeit thue und jemand anders den Lohn davon hinwegnehmen wollte“. Dabei beruft er sich auf die Rechtssprechung in Sachsen und die Tatsache, dass dort ,,der Sachverhalt für Organistenwitwen nicht zutreffe“ (vgl. ebd., S. 123 f.). Das Gesuch wurde abgelehnt. Der Brief, zwar formvollendet und in dem leicht unterwürfig wirkenden Ton der damaligen Zeit formuliert, zeigt nicht nur einmal mehr den selbstbezogenen Charakter des Bach-Sohnes, sondern weist auch auf Gottfried Bernhards Neigung zur Juristik hin, die sich dann bei seiner Studienwahl zeigte.
Im Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen Johann Gottfried Bernhard und der Stadt Mühlhausen wird in einem amtlichen Dokument vom 7. September 1735 darauf hingewiesen, dass „H. Bach jun. bisher allzuviel und allzulange praeludirt, mithin dadurch die zur Andacht u. Gottesdienst bestimmte Zeit über die Gebühr verkürzt“ und dass er „mit Orgelschlagen die singende Gemeinde oft nur verwirret“. Das Ganze gipfelte in einem Dokument vom 10. September in dem Satz, den „ein anonymus votiert hat“ : „Wenn H. Pache die Orgel so fort spielt, so ist sie in zwei Jahren hingerichtet, oder die meisten Kirchgänger müssen taub werden.“ Dieser Auffassung wird aber im gleichen Schriftstück widersprochen, indem ausdrücklich betont wird, dass „wir einen künstlerischen und geschickten organisten erhalten haben, welchem weder die Abkürzung des Praeludii anzubefehlen noch weniger aber die Orgel nach der Kunst zu spielen zu verbieten ist“ (vgl. Otterbach 1985, S. 125).
In seinem Empfehlungsschreiben für das Sangerhäuser Organistenamt aus dem Jahr 1736 beruft sich Johann Sebastian direkt auf das Unrecht, das ihm selbst 30 Jahre vorher am selben Ort widerfahren war: „Und wer weiß?, ob nicht hierunter Göttliche Schickung mit im Spiel, daß Eu: HochEdler Rath voritzo ehe im Stande sind, das meiner Wenigkeit vor bey nahe 30 Jahren, gethane Versprechen, in conferirung des damahlen vacanten | FiguralOrganisten Dienstes, in vocirung eines meiner Kinder, halten zu können, da Ihnen damahlen durch hohe LandesObrigkeit ein Subject zugeschicket wurde, welches causirete, daß, obwohln damahln die sämtlichen vota unter dem Regimente des seeligen Herrn Burgermeister Vollraths, meine Wenigkeit betraffen, ich doch wegen obiger raison, nicht so glücklich seyn könte, zu emergiren.“ (Brief an Johann Friedrich Klemm vom 18. November 1736, zit. n. Bach-Archiv-Leipzig, jsbach Biografie Online, https://jsbach.de/bachs-welt/dokumente/1736-18-november-leipzig-brief-johann-friedrich-klemm-sangerhausen)
Ob Johann Gottfried Bernhard auch am musikalischen Wirken der Bach-Familie teilgenommen hat, bleibt im Bereich der Spekulation. Der Musikwissenschaftler und Reeder Elias N. Kulukundis, dessen Forschungsschwerpunkt auf der Bach-Familie liegt und der 2010 seine umfangreiche Sammlung dem Bach-Archiv Leipzig zur Verfügung stellte, verfasste im Jahr 2015 einen „Geburtstagsgruß“ für den „mißrathenen“ Bach-Sohn, in dem er Fakten und Spekulationen einander gegenüberstellt, zahlreiche Fragen aufwirft und versucht, ein möglichst wertefreies Bild von Johann Georg Bernhard, seinem Charakter, seiner schwierigen Position innerhalb der Familie und dem Verhältnis zu seinem Vater zu zeichnen. Kulukundis‘ Fazit: “In the end, we simply do not know anything concrete about Bernhard’s musical personality“ (vgl. Kulukundis 2015).
Lediglich das gemeinsame Flötenspiel mit Jacob von Staehlin ist durch einen Brief von Staehlins an seinen Sohn aus dem Jahr 1884 belegt (vgl. Kulukundis 2015). Jacob von Staehlin war später in St. Petersburg u. a. Erzieher von Zar Peter III., dem Ehemann von Katharina der Großen, geboren als Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst. Von Staehlin verkehrte während seiner Leipziger Studienzeit in der ersten Hälfte der 1730er-Jahre im Bach’schen Haus und war mit den beiden älteren Bach-Söhnen, besonders mit Carl Philipp Emanuel, befreundet.
Eigene Kompositionen oder zumindest Kopierarbeiten aus der Feder Johann Gottfried Bernhard Bachs sind bis heute nicht gesichert nachweisbar.
Literatur
Elias N. Kulukundis, Johann Gottfried Bernhard Bach: Fact and Fiction. A Remembrance and Birthday Tribute, März–April 2015, https://www.bach-leipzig.de/sites/default/files/u593/E.N.Kulukundis_J.B.Bach_Bach-Magazin-26.pdf, abgerufen am 26.01.2022.
Friedemann Otterbach (Hrsg.), Bach. Briefe der Musikerfamilie, Frankfurt/Main 1985.
Christoph Wolff, Johann Sebastian Bach, Frankfurt am Main 2000.
Peter Wollny, Art. „Bach, Alphabetisches Verzeichnis der Musiker, Johann Gottfried Bernhard Bach“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., veröffentlicht Juni 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/12000.
Links
Brief Johann Sebastian Bachs an Friedrich Klemm vom 24. Mai 1738, Bach-Archiv-Leipzig, jsbach Biografie Online
Zacharias-Hildebrandt-Orgel (1728) zu St. Jacobi Sangerhausen, KMD Martina Pohl spielt Werke von Johann Sebastian Bach (CD)
Kirchengemeinde St. Jacobi Sangerhausen
Video: Die Orgel – ungewohnte Einblicke in das Instrument des Jahres 2021
Das anschauliche Video von KMD Martina Pohl und Ulrike Großhennig bietet Schüler*innen die Möglichkeit, am Beispiel der Hildebrandtorgel in Sangerhausen in das Innere einer Orgel zu schauen, die Funktionsweise kennenzulernen, Fragen zu stellen und sich Detailwissen anzueignen. Das Video ist für schulische Zwecke genauso geeignet wie für Interessierte an diesem einzigartigen Instrument.
SM 2022