Musikleben

Bach, Anna Magdalena, geb. Wilcke (1701–1760)

* 22. September 1701 in Zeitz, † 27. Februar 1760 in Leipzig

Messerschmiedestraße in Zeitz: Blick vom Standort des Geburtshauses von Anna Magdalena Bach in Richtung Schloss

Biografie

Anna Magdalena Bach, geb. Wilcke, wurde am 22.09.1701 in Zeitz geboren. In der Messerschmiedegasse (heute Messerschmiedestraße) wuchs sie in einem musikalischen Elternhaus auf. Ihre Eltern waren der Hof- und Feldtrompeter Johann Kaspar Wilcke und seine Ehefrau Margarethe Elisabeth Wilcke, geb. Liebe, die aus einem Organistenhaushalt stammte. Die junge Anna Magdalena erhielt eine musikalische Ausbildung und wurde eine gute Sängerin.

Spätestens 1718 zog die Familie nach Weißenfels, wo der Vater nun als Hof- und Feldtrompeter tätig war. Der Umzug stand möglicherweise im Zusammenhang mit dem Niedergang der Residenz und der Hofmusik in Zeitz durch das Erlöschen der Nebenlinie Sachsen-Zeitz. Am Hof in Weißenfels war Christiane Pauline Kellner als Primadonna tätig. Es ist möglich, dass sie an der Ausbildung von Anna Magdalena beteiligt war.

Gedenktafel für Anna Magdalena Bach in Zeitz (mit falschem Geburtsdatum)

 

Ab 1721, im Alter von 19 Jahren, ist Anna Magdalena in Köthen nachweisbar, wo sie eine Anstellung als Sängerin am Köthener Hof hatte. Zu diesem Zeitpunkt war der im Sommer 1720 verwitwete Johann Sebastian Bach Köthener Hofkapellmeister. Beide heirateten am 03.12.1721 in Köthen. Die Eheschließung war für Anna Magdalena ein sozialer Aufstieg. Sie wurde die Frau Capellmeisterin, da sie als Ehefrau das Recht hatte, die Titel ihres Mannes zu tragen. Eine Frau ihres Standes hatte Dienstpersonal. So war es ihr auch möglich, weiterhin als Sängerin am Köthener Hof tätig zu sein.

Schloss in Köthen

 

Im Frühjahr 1723 wurde Johann Sebastian Bach zum Musikdirektor der Stadt Leipzig und Kantor an der Thomasschule ernannt. Die Familie Bach zog am 22.05.1723 in die Dienstwohnung neben der Leipziger Thomaskirche im südlichen Teil der Thomasschule. Im Haushalt der Familie Bach lebten nicht nur die Kinder, sondern auch Dienstpersonal, Privatschüler und Verwandte. Vier Kinder stammten aus der ersten Ehe von Johann Sebastian. Anna Magdalena Bach brachte in den Jahren 1723 bis 1742 dreizehn Kinder zur Welt, von denen etliche in den ersten Lebenstagen oder im Kindesalter starben.

Nach Johann Sebastian Bachs Tod am 28.07.1750 verließ Anna Magdalena die Dienstwohnung in der Thomasschule. Gemeinsam mit ihren beiden jüngsten Töchtern Johanna Carolina und Regina Susanna, die beim Tod des Vaters 8 und 12 Jahre alt waren, sowie dem bereits erwachsenen geistig behinderten Sohn Gottfried Heinrich zog sie an den Neuen Kirchhof in Leipzig. Als Witwe war sie als Musikalienhändlerin tätig und hatte bei der Erbteilung die Voraussetzung geschaffen, möblierten Wohnraum vermieten zu können. Zusätzlich wurde sie von einigen Institutionen finanziell unterstützt.

Anna Magdalena Bach starb im Alter von 58 Jahren am 27.02.1760 in Leipzig und wurde zwei Tage später auf dem Leipziger Johannisfriedhof beigesetzt. Mit ihrem Stiefsohn Carl Philipp Emanuel Bach stand sie bis zu ihrem Tod in geschäftlicher und privater Weise in Verbindung. In seinem Nachlass befand sich ein Bild, das mit folgenden Worten beschrieben wird: „Bach, (Anna Magd.) Sopranistin, J. S. zweyte Frau, In Oel gemahlt von Cristofori. 2 Fuß, 1 Zoll hoch, 23 Zoll breit. In goldenen Rahmen”. Leider ging das Gemälde verloren. Es gibt heute keine Abbildung von Anna Magdalena Bach, die als authentisch angesehen werden kann.

Eintrag im „Verzeichniß des musikalischen Nachlasses des verstorbenen Capellmeisters Carl Philipp Emanuel Bach“, Hamburg 1790, S. 95

Musikhistorische Bedeutung

Gemeinsam mit ihrem Ehemann stand Anna Magdalena Bach einem Hauswesen vor, in dem mit Musik Geld verdient wurde. Zu den Familieneinkünften hatte sie als Hofsängerin in Köthen beigetragen und auch in Leipzig war sie als professionelle Sängerin aktiv. So sind beispielsweise Gastspiele von ihr und ihrem Mann im Juli 1724, im Dezember 1725 und im März 1729 am Köthener Hof belegt. Ihr Ehemann Johann Sebastian Bach bezeichnete in einem Brief aus dem Jahr 1730 ihre Stimme als hervorragenden Sopran: “Zumahln da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet…“ (zit. n. Hübner 2005, S. 11). Ohne regelmäßiges Üben ist die Aufrechterhaltung eines so hohen Niveaus nicht möglich, wofür als Motivation die Aussicht auf regelmäßige Auftritte notwendig ist. Dazu gab es auch in Leipzig vielfältige Möglichkeiten und dafür schrieb Johann Sebastian Bach auch Werke. Bei der Kantate BWV 210a O angenehme Melodei für Sopran solo, die für Herzog Christian von Weißenfels aufgeführt wurde, schuf er beispielsweise durch Textänderungen Varianten, die für eine Ehrung von Graf Flemming oder für „werthe Gönner“ genutzt wurden. Mit einem weiteren Text machte er daraus eine Hochzeitskante (O holder Tag, erwünschte Zeit, BWV 210, vgl. Schulze 1990).

Ausschnitt aus der Sopranstimme der Kantate „O angenehme Melodei“, BWV 210a, Satz 10. Das Wort „Flemming“ war über das wegradierte Wort „Herzog“ geschrieben worden, alternativ konnte die Kantate für Sopran solo auch für „werthe Gönner“ genutzt werden.

 

Anna Magdalena Bach unterstützte ihren Ehemann bei seinen Aufgaben als Musikdirektor der Stadt Leipzig. Für sonntägliche Kantatenaufführungen fertigte sie Kopien von Einzelstimmen an. Sie war auch in der Lage, Kantatenaufführungen zu organisieren. Nach dem Tod ihres Mannes bestellte der Leipziger Rat die Kantate zum Ratswechsel im August 1750 bei ihr. Für den im Haushalt der Familie Bach betriebenen Musikalienhandel wurden handschriftliche Kopien angefertigt. Daran war auch Anna Magdalena Bach beteiligt. In den dort betriebenen Instrumentenverleih war sie ebenfalls involviert.

Eine große Bedeutung hatte im Haushalt der Familie Bach die Ausbildung von Privatschülern. Dieser Aufgabe widmete sich nicht nur Johann Sebastian Bach. Es waren auch weitere Familienmitglieder daran beteiligt, darunter Anna Magdalena. Sie war auch für die Versorgung und Unterbringung der Privatschüler verantwortlich, die im Haushalt wohnten.

In besonderer Weise sind zwei Büchlein mit ihrem Namen verbunden, die meist als die „Notenbüchlein von Anna Magdalena Bach“ bezeichnet werden. Sie liefern Hinweise, dass sie nicht nur eine begnadete Sängerin war, sondern auch das Cembalospiel pflegte. Das von 1722 wurde gegen Ende der Zeit in Köthen angelegt. Darin sind anspruchsvolle Werke wie beispielsweise eine frühe Fassung der Französischen Suiten BWV 812–816 zu finden oder auch die Phantasie für Orgel BWV 573. Die Eintragungen erfolgten vor allem durch Johann Sebastian Bach, wohingegen die Titelseite und auch das Menuett aus der Suite c-Moll BWV 813 von Anna Magdalena Bach geschrieben wurden. Dieses Notenbüchlein ist heute nur fragmentarisch überliefert.

Clavier-Büchlein vor Anna Magdalena Bachin Anno 1722 (Einband vorn innen mit Titel)

 

Ein weiteres Büchlein wurde 1725 begonnen. In dieses schrieb Johann Sebastian Bach Frühfassungen der Partiten III und VI (BWV 827 und 830). Als weitere Eintragungen folgten einfache Klavierwerke wie Menuette, Polonaisen, Märsche, die vor allem Anna Magdalena eingeschrieben wurden, und auch Gesangsstücke. Besonders auffällig ist, dass diese Werke über keinerlei Komponistenangaben verfügen. Es ist nachweisbar, dass sie nicht nur von Johann Sebastian Bach, sondern von verschiedenen weiteren Komponisten stammen, u. a. Carl Philipp Emanuel Bach (Bachs zweitgeborener Sohn), Christian Petzold (Dresdner Hoforganist) oder Gottfried Heinrich Stölzel (Gothaer Hofkapellmeister). Diese kleinen Stücke eignen sich sehr gut für den Unterricht von Anfängern. Auch heute werden sie gern für Unterrichtszwecke genutzt.

Werke

Es gibt keine Nachweise, dass Anna Magdalena Bach selbst komponiert hat. Etliche der Kopien, die sie von Werken ihres Mannes fertigte, haben heute aber eine große Bedeutung. Von den sechs Suiten für Violoncello solo (BWV 1007–1012) erhielt sich kein Autograph Johann Sebastian Bachs, so dass ihre Abschrift eine der wichtigsten Quellen für dieses Werk ist. Sie entstand für den Studenten und Bachschüler Georg Heinrich Ludwig Schwanberg.

Die Sonate G-Dur für Violine und Basso continuo (BWV 1021) von Johann Sebastian Bach ist heute nur noch vorhanden, weil Anna Magdalena Bach eine Abschrift für Heinrich Abraham von Boyneburg (Student und Privatschüler Bachs) fertigte.

Einige weitere Abschriften Anna Magdalena Bachs von Werken Johann Sebastian Bachs:

Es ist das Heil uns kommen her BWV 9, Bassus
Meine Seufzer, meine Tränen BWV 13, Violino I, Violino II
Sonaten und Partiten für Violine solo BWV 1001–1006
Orgelsonaten C-Dur und G-Dur BWV 529, 530  (nach Hübner 2005)

Klangbeispiele

Johann Sebastian Bach – Clavier Büchlein für Anna Magdalena Bach 1722, Interpret: Mario Videla

J. S. Bach: Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach , Interpreten: Pieter-Jan Belder (Cembalo und Orgel), Johannete Zomer (Sopran)

CD-Einspielungen

Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach (Ausz.), Adele Stolte, Günther Leib, Herbert Collum, Label: Eterna, 1968 (jpc mit Klangbeispielen)

Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach (Ausz.), Alexandra Röseler, Georg Christoph Biller, Carola Christoph, Hartmut Becker, Thomanerchor Leipzig, Label: Querstand, 2 CDs, 2005 (jpc mit Klangbeispielen)

Noten zum Download

Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach, beide Notenbüchlein in der Petrucci Music Library/IMSLP in verschiedenen Ausgaben

Literatur

Ingeborg Allihn, Artikel „Anna Magdalena Bach“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hrsg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff., Stand vom 5.6.2013, URL: https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000032.

Maria Hübner, Anna Magdalena Bach – Ein Leben in Dokumenten und Bildern. Mit einem biographischen Essay von Hans Joachim Schulze, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2005.

Hans-Joachim Schulze, „Zumahln da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano singet…”, in: Ich muss mich ganz hingeben können. Frauen in Leipzig, hrsg. von Friderun Bodeit, Leipzig 1990, S. 34.

Eberhard Spree, Die Frau Capellmeisterin Anna Magdalena Bach. Ein Zeitbild, Verlagsgruppe Kamprad, Altenburg 2021.

Peter Wollny, Art. „Bach, Alphabetisches Verzeichnis der Musiker, Anna Magdalena Bach“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 1999, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/52117.

Links

Ein im Januar 2022 eingerichteter Blog (s. https://www.eberhardspree.com/) von Eberhard Spree, Kontrabassist im Gewandhausorchester Leipzig und Musikwissenschaftler (s. o. Literatur), widmet sich unterschiedlichen Facetten des Lebens  und Wirkens von Anna Magdalena Bach in kontinuierlich erscheinenden Beiträgen und möchte u. a. tradierte Sichtweisen kritisch hinterfragen (Näheres zum Autor und dessen Anliegen hier).

Webseite der Stadt Köthen

Anna-Magdalena-Bach-Saal

Musikschule „Anna Magdalena Bach“ in Zeitz

Anna-Magdalena-Bach- Straße in Zeitz

“von Cristofori” – Zum Maler des verschollenen Porträts Anna Magdalena Bachs

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Das verschollene Porträt von Anna Magdalena Bach (zusätzliche Informationen für Schüler)

Pauline-Teresa Sennewald 2020, aktualisiert von Eberhard Spree 2023

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2020 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.