Musikleben

Lind, Jenny (1820–1887, Sängerin)

* 06.10.1820 in Stockholm, † 02.11.1887 in Malvern Hills (Herefordshire)

Die zu ihrer Zeit international erfolgreiche und berühmte schwedische Sängerin Jenny Lind übernahm in einer von Robert Franz veranstalteten Aufführung des Messias  von Georg Friedrich Händel zugunsten der Errichtung eines Händeldenkmals in Halle (Saale) die Sopranpartie und trug dadurch wesentlich zur Finanzierung des heute noch den halleschen Marktplatz prägenden Denkmals bei.

Jenny Lind 1850

Biografie

Am 06. Oktober 1820 wurde die schwedische Sängerin Jenny Lind, die im Alter von 37 Jahren auch in Halle auftrat, unter dem Namen Johanna Maria Lind als uneheliche Tochter einer Lehrerin und eines Buchhalters in Stockholm geboren. In ihrer Kindheit lebte sie im Wechsel bei ihrer Mutter oder in Pflegefamilien, wenn beispielsweise die Mutter den Wohnort wechselte, ohne ihre Tochter mitzunehmen. Bereits im Kindesalter erhielt Jenny Lind ihren ersten Gesangsunterricht bei dem Tenor Carl Magnus Craelius, einem Mitglied der Königlichen Musikalischen Akademie, der auch für ihre Aufnahme als Elevin am Königlichen Theater Stockholm sorgte. Von 1830 bis 1837 übernahm sie dort mehr Sprech- als Gesangsrollen und erhielt deshalb auch 1837 ihren ersten Vertrag am Königlichen Theater als Schauspielerin. Ihre gesanglichen Fähigkeiten wurden in den folgenden Jahren von dem Tenor Isaak Berg weiter gefördert, und nachdem sie in kleinen Gesangsrollen schon zuvor glänzen konnte, debütierte sie 1838 als Agathe in Carl Maria von Webers Freischütz. In der darauf folgenden Zeit als junge Sängerin lebte sie bei dem Komponisten und Dichter Adolf Frederik Lindblad und dessen Frau. Dadurch lernte sie die Persönlichkeiten des Kulturlebens kennen und verkehrte in den richtigen gesellschaftlichen Kreisen, die für ihre Karriere förderlich waren.

Händeldenkmal in Halle

 

Jenny Lind und die Aufführung des Messias 1857 in Halle

Als im Jahr 1855 in Händels Geburtsstadt Halle über die Finanzierung und Errichtung eines Händeldenkmals zu entscheiden war, stellte der hallische Komponist, Organist und Dirigent der Singakademie, Robert Franz, eine Aufführung des Messias in Aussicht, deren Veranstaltungsertrag dem Denkmalfond zugute kommen sollte. 1857 fand diese Aufführung mit der hallischen Singakademie statt, die dadurch erstmals deutschlandweit Bekanntheit erreichte. Besonders erfolgreich war die Veranstaltung aufgrund der außergewöhnlich guten Leistung des Chores und der Mitwirkung des Weltstars Jenny Lind, die die Solo-Sopranstimme übernahm und das ihr zustehende Honorar spendete. Sowohl im März als auch im Dezember fand ein Konzert statt. Jenny Lind sang zwar nur bei der zweiten Aufführung, welche allein aber schon einen Erlös von 1400 Talern einbrachte. Die Sängerin hatte sogar einen wichtigen Anstoß zu den Konzerten gegeben, da sie vor ihrer Übersiedlung von Dresden nach England noch einen Beitrag zum Denkmal des von ihr hochgeschätzten Komponisten Georg Friedrich Händel leisten wollte. Zeitungen berichteten hinterher vom großen Erfolg und beschrieben Lind als Publikumsmagneten und Erfolgsgaranten. Gesungen wurde allerdings nicht das Händel‘sche Original, sondern die Mozartbearbeitung (s. u. Klangbeispiel). Beteiligt waren an der Aufführung 150 Sänger und 50 Orchestermusiker. Kritiker äußerten dazu, dass die Händel‘sche Originalfassung besser gewesen wäre, da sowohl einige Chor- als auch Solostellen weggekürzt waren. Nichtsdestotrotz war das Benefiz-Projekt ein großer Erfolg und 1859 konnte das bis heute auf dem halleschen Marktplatz erhaltene Händeldenkmal errichtet werden.

 

Zeitungsartikel aus dem “Hallischen Tageblatt” Nr. 295 vom 17. Dezember 1857

Musikhistorische Bedeutung

Jenny Lind erreichte vor allem aufgrund ihrer außergewöhnlichen stimmlichen Begabung als virtuoser dramatischer Sopran Weltruhm. Fanny Hensel schrieb in einem Brief an ihren Bruder Felix Mendelssohn Bartholdy vom 21. Dezember 1844 von ihrer stimmlichen „haarscharfe[n] Reinheit“ (zit. nach Gesse-Harm 2010). Mit einem Stimmumfang von h bis g3 hatte sie eine brillante Höhe. Durch ihre diszipliniert erlernte hohe Gesangstechnik konnte sie mit Besonderheiten wie einem klangvollen Pianissimo, virtuosen Trillern und einem beeindruckenden „messa di voce“ (dynamische Verzierungen auf einem Halteton) glänzen. Ebenfalls besonders faszinierend muss ihre natürliche und einfühlsame Darstellungskunst gewesen sein, so lag in ihrem Schauspiel nach Clara Schumann „ein eigner Zauber“ (Berthold Litzmann, Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen, Bd. 2, Leipzig 1905, S. 148, zit. nach Gesse-Harm 2010).

Karikatur über den StarrummelNachruhm

 

An Popularität in allen sozialen Schichten gewann sie durch ihr soziales Engagement und ihre Wohltätigkeit in Form von Sonder- und Spendenkonzerten, Zuwendungen an Stiftungen oder Privatpersonen und die Förderungen junger Sänger. Legenden bildeten sich darüber und brachten ihr weltweite Anerkennung und Aufmerksamkeit. Breitenwirkung entfachte sie, indem sie sich den amerikanischen Kontinent erschloss, gleichzeitig in Europa tätig war und dort nicht nur die großen Musikmetropolen besang, sondern auch Kleinstädte. Durch ihr volkstümlich ausgerichtetes, von beliebten Opernarien durchmischtes Repertoire und den Einsatz gezielter Öffentlichkeitsarbeit ermöglichte sie vielen ihrer Zeitgenossen Zugänge zur Musik, unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Stellung. Dadurch bereicherte sie das Kulturleben ungemein, sie war eine der berühmtesten Persönlichkeiten ihrer Epoche und nach modernem Verständnis einer der ersten „Stars“. Ihre musikalischen Fähigkeiten in Kombination mit ihrem Ausdruck, der Wohltätigkeit, religiösem Verständnis und Bescheidenheit ließen sie ein ideales Bild einer erfolgreichen Frau abgeben. Den bis heute geläufigen Beinamen „Nachtigall“ erhielt sie 1839 durch einen schwedischen Musikkritiker. Die Nachtigall als ein für seine schöne Singstimme bekannter Vogel, der gleichzeitig ein volkstümliches Symbol für Frühling, Erwachen und Liebe ist, spiegelt ebenso das zarte Wesen der Sängerin wider.

Nachruhm

Zu ihrer Zeit hatte Jenny Lind Weltruhm erlangt. Kinder, Schulen und Krankenhäuser wurden nach ihr benannt, europäische und amerikanische Straßen trugen ihren Namen, ebenso wie eine kalifornische Stadt und eine kanadische Insel. Zu Lebzeiten gab es allerlei Jenny-Lind-Artikel, die man heute als Merchandise bezeichnen würde, darunter Bonbons, Haarnadeln, Zigarren, Einrichtungsgegenstände, aber auch kulinarische Spezialitäten. Nicht nur Jenny Lind wurde durch ihren Erfolg zur Millionärin, auch Fabrikanten und vor allem Theaterdirektoren profitierten, denn ein Engagement der Sopranistin war ein Erfolgsgarant.

Für die Frauen der Zeit war sie ein Vorbild, sie war eine erfolgreiche unabhängige Sängerin, was Feministinnen sympathisch war. Gleichzeitig nutzte sie ihre Position nicht aus, sondern bewarb auch das häusliche Leben, was den traditionellen Frauen Vorbild sein konnte.

Literarisch war Jenny Lind auch eine Inspiration für die Schriftsteller des 19. Jahrhunderts. In Gedichten, humoristischen Stücken, Artikeln, Versen, Romanen und Erzählungen finden sich Bezüge zu ihrem Charakter und ihrer Wirksamkeit. Auch das Märchen „Die Nachtigall“ von Hans Christian Andersen basiert auf ihrer Künstlernatur.

Bis heute existiert in Schweden der Jenny-Lind-Preis, der durch die Königliche Musikakademie Stockholm an junge Berufssängerinnen vergeben wird. Der Preis ist mit 40.000 Kronen, einem Jenny-Lind-Kostüm und einer Konzertreise durch Schweden und die USA dotiert und wird seit 1965 jährlich vergeben.

Auch die Filmindustrie hat sich der Sängerin angenommen. Im Film „Die schwedische Nachtigall“ aus dem Jahr 1941 wird Jenny Lind von Ilse Werner verkörpert. Die Beziehung zwischen Jenny Lind und Hans Christian Andersen wird in „Hans Christian Andersen – My life as a fairytale“ von 2001 beleuchtet. Im Jahr 2017 wurde die Lebensgeschichte von Jenny Linds Manager P. T. Barnum im Filmmusical „The Greatest Showman“ über die „Erfindung des Showbusiness“ (s. Trailer Link unten) mit Hugh Jackman in der Hauptrolle verfilmt. Die Sängerin wird in dem Film von Rebecca Ferguson dargestellt.

Royal College of Music, an dem Jenny Lind in ihren späten Jahren als Professorin tätig war (2007)

Repertoire (in Auszügen)

Opernpartien

  • Agathe (von Weber: Der Freischütz)
  • Euryanthe (von Weber: Euryanthe)
  • Pamina (Mozart: Die Zauberflöte)
  • weitere Rollen in Mozarts Le nozze di Figaro und Don Giovanni
  • Alice (Meyerbeer: Robert le diable)
  • Valentine (Meyerbeer: Les Huguenots)
  • Vielka (Meyerbeer: Ein Feldlager in Schlesien), für sie von Meyerbeer komponiert
  • Norma (Bellini: Norma)
  • Amina (Bellini: La sonnambula)
  • Amalia (Verdi: I masnadieri)
  • Marie (Donizetti: La Fille du régiment)
  • Adina (Donizetti: L´elisir d´amore)
  • Lucia (Donizetti: Lucia di Lammermoor)
  • Elvira (Bellini: I Puritani)
  • zahlreiche UA (z. B Berwalds Ein ländliches Verlobungsfest in Schweden)

Konzerte

  • Elias, Oratorium von Mendelssohn-Bartholdy (Sopranpartie soll ursprünglich für ihre Stimme geschrieben worden sein)
  • Die Schöpfung, Joseph Haydn
  • Der Messias, Georg Friedrich Händel
  • skandinavische Lieder mit volkstümlichem Charakter
  • Trio für Singstimme und 2 Flöten aus Meyerbeers Ein Feldlager in Schlesien

Klangbeispiele

„Messias“, Georg Friedrich Händel (Bearbeitung W. A. Mozart)

Lind-Gesänge von Johann Strauß (Sohn)

Literatur

Sonja Gesse-Harm, Artikel „Jenny Lind“, in: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hrsg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg 2003 ff. (Bearb.-stand v. 04.07.2010), https://mugi.hfmt-hamburg.de/receive/mugi_person_00000494.

Rebecca Grotjahn, Art. „Lind, Goldschmidt, Jenny, Johanna Maria“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken. Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2004, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/article?id=mgg08168&v=1.0&rs=mgg08168.

Werner Rackwitz, Geschichte und Gegenwart der hallischen Händel-Renaissance, Teil 1: 1803–1929 (= Schriften des Händelhauses in Halle), Halle an der Saale 1977, S. 25 ff.

Konrad Sasse (Hrsg.), Katalog zu den Sammlungen des Händel-Hauses in Halle,  2. Teil: Bildsammlung: Porträts, Halle an der Saale 1962, https://st.museum-digital.de/index.php?t=objekt&oges=5859.

Walter Serauky, Musikgeschichte der Stadt Halle. Von Wilhelm Friedemann Bach bis Robert Franz (= Beiträge zur Musikforschung 8/9), Tübingen 1971, S. 615 ff.

Links

Hans Christian Andersens „Die Nachtigall“

„The Greatest Showman“ (Musicalfilm): Trailer und Jenny-Lind-Szene

Anregungen für den Unterricht

Wenn die Möglichkeit besteht, kann im Unterricht auch der gesamte Musicalfilm „The Greatest Showman“ angeschaut und unter den Aspekten der Darstellung der historischen Figuren betrachtet werden.

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Jenny Lind (Schüler-Arbeitsblatt im ODT-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Johanna Hauptstock 2020

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2020 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.