
Im kleinen Dorf Spergau, einem Ortsteil der Stadt Leuna im Saalekreis vor den Toren der riesigen Leuna-Raffinerie, wird jedes Jahr am ersten Sonntag nach dem 2. Februar oder an diesem selbst die Spergauer Lichtmeß gefeiert, eine Tradition, die bereits 1688 erstmalig in der Ortschronik erwähnt wurde. (Die Original-Schreibweise „Lichtmeß“ soll im Folgenden weitestgehend beibehalten werden.)
Im Zentrum dieses alten dörflichen Brauches steht ein Heischegang, eine Bittprozession durch den Ort mit Kapelle und hierarchisch geordneten Figurengruppen in fantasievollen Kostümen (Pritscher und Vögel, Registrator, Soldaten, Läufer und Schwarzmacher, Pferde und Kutscher, Bär und Bärenführer, Eierfrauen und Wurststangenträger, Küchenmänner und Küchenmädchen, aber auch Kornweib, Schnurradmann, Guckekasten- und Handelsmann). Die Figur des Läufers oder Bändermanns im bunten Bändergewand erinnert dabei an den bebänderten bunten Hut der mit Peitschen knallenden Läufer beim Pfingsttanz in den Mansfelder Grunddörfern, einem bis heute lebendig gebliebenen Pfingstbrauch.
Beim Heischegang werden von der Dorfbevölkerung Naturalien für die Lichtmeßküche erbeten. Nur unverheiratete junge Männer sind Mitglieder der Lichtmeßgesellschaft, die die Feierlichkeiten vorbereitet und durchführt (vgl. Jankofsky 2015). Lediglich sechs junge Mädchen vertreten als „Küchenmädchen“ das weibliche Geschlecht, das bei den Festritualen ansonsten „fast ständig ausgegrenzt“ bleibt (vgl. Schneider 2007, S. 22), ein nicht mehr zeitgemäßes Element (selbst die „Eierfrauen“ werden von Jungen dargestellt), welches im heutigen Emanzipationszeitalter in spielerischer Form als Ritual zwar „hingenommen, aber nicht ernst genommen wird“ im Sinne einer „kontrollierten und normierten Kontaktanbahnung“ (ebd., S. 23). Die Feierlichkeiten beginnen und enden im Festsaal, wo sich die gesamte Dorföffentlichkeit versammelt und den Feierlichkeiten beiwohnt.
Mit der rein weltlichen Ausrichtung erinnert die Spergauer Lichtmeß nur entfernt an das christliche Fest Mariä Lichtmess, das ebenfalls am 2. Februar begangen wird und mit einer Prozession und der Weihe von Kerzen für das ganze Jahr der Reinigung der Gottesmutter Maria nach Jesu Geburt gedenken soll.
Musikalische Tradition
Mit den „Vögeln“, die gleichzeitig die Sänger bei der Prozession sind, wird die Spergauer Lichtmeß aber auch zur musikalischen Tradition. Aufgabe der Vögel ist „das Singen von Lichtmeßliedern, was stets alle begeistert, selbst die, die nicht singen können“ (Jankofsky 2015, S. 71).
Trugen die Sänger Anfang der 1920-Jahre noch Frack und Zylinder ganz nach der Tradition der in dieser Zeit üblichen Männergesangsgruppierungen, vollzog sich aufgrund der völkisch geprägten Forschungen des halleschen Volkskundlers Hans Hahne bald darauf die Änderung der Sänger-Figuren hin zum Vogelkostüm, da durch Hahne der Brauch neu interpretiert wurde in Richtung eines „Winteraustreibens“.

Jeder Sänger trägt heute ein Gesangbuch, aus dem vor den Häusern alte und neue Lichtmeßlieder gesungen werden, und die Sänger sind verpflichtet, jedes Jahr ein neues Lied „zu dichten und einzuüben sowie die alten Texte aufzufrischen“ (Schneider 2007, S. 22). „Dabei entstehen zwar regelmäßig über altbekannten Melodien dahinholpernde Knittelverse, aber jedes neue Lichtmeßlied wird nach der Abnahme durch die Küchenburschen säuberlich in die Gesangbücher der Vögel notiert. […] Der Obervogel schlägt seine übergroße Pappstimmgabel an. Und die im Halbkreis vor dem Haus- und Hofherrn stehenden Sänger beginnen zu krächzen, bis sie klingenden Lohn empfangen…“ (Jankofsky 2015, S. 39)
Auch die Küchenmädchen betätigen sich als Sängerinnen, allerdings nicht beim Fest selbst: Beim vorbereitenden traditionellen Brauen des Lichtmeßschnapses „müssen“ sie den Küchenburschen etwas vorsingen.
Doch warum beschäftigen sich junge Menschen heutzutage mit Volksliedern, obwohl sie in ihrer Freizeit ganz andere Musik hören, halten sich an archaisch anmutende Rituale und Funktionen? „Insgesamt dient das Fest mit seinen Vorbereitungen aber auch der intensiven Kommunikation der Ortsbewohner untereinander; es fördert in hohem Maße den Zusammenhalt und die Verbundenheit mit dem Heimatort – auch bei denen, die den Wohnort längst gewechselt haben, aber regelmäßig zur Lichtmess nach Spergau kommen.“ (Schneider 2007, S. 23)
Die Spergauer Lichtmeß wurde 2018 in das Bundesweite Verzeichnis des Immateriellen Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Filmausschnitte
Ach, wär ich doch ein Junggesell geblieben… Spergauer Lichtmeß. Ein Junggesellenbrauch
Film von Edmund Ballhaus
in Zusammenarbeit mit Cornelia Ballhaus und Annette Schneider
Wissenschaftliche Beratung: Jürgen Jankofsky
© Institut für den Wissenschaftlichen Film Göttingen 1996
Die “Vögel” bei der Probe…
… und beim Heischegang
Literatur
Jürgen Jankofsky und Ulrich Kneise, Spergauer Lichtmeß: eine Zeit-Reise, Halle 2015.
Kathrin Pöge-Alder, Materielles im immateriellen Kulturerbe, in: Sachsen-Anhalt-Journal, Ausgabe 2/2016, hrsg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V., http://journal.lhbsa.de/cpt-articles/materielles-im-immateriellen-kulturerbe/.
Annette Schneider, Spergauer Lichtmess – Ein dörflicher Junggesellenbrauch, in: SACHSEN-ANHALT/Journal für Natur- und Heimatfreunde 1/2007, hrsg. vom Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V.
Links
https://www.spergauer-lichtmess.de (Website zur Spergauer Lichtmeß)
Spergauer Lichtmeß 2017 (Youtube-Video)
Die Spergauer Lichtmeß – eine uralte Tradition (mit Film zur Lichtmeß 2008 zum Download)
Bundesweites Verzeichnis Immaterielles Kulturerbe: Spergauer Lichtmeß (Seite der UNESCO)
Corona zum Trotz: Spergauer organisieren Heischegang als Sommeredition (MZ online vom 05.07.2021)
Heischebräuche haben auch im Harz eine lange Tradition (s. Musikkoffer-Artikel Heischesingen im Harz).
SM 2019