Musikalische Bräuche

Heischesingen im Harz

In den vergangenen Jahrhunderten lebte die Harzer Bevölkerung über lange Zeiten an der Armutsgrenze, seien es die einfachen Bergleute, Hüttenarbeiter, Köhler, Fuhrleute oder Waldarbeiter. Deshalb mussten Frauen zum Unterhalt der Familie beitragen. Sie bearbeiteten die kleinen landwirtschaftlichen Flächen, machten Heu an steilen Berghängen, gingen auf Botengänge oder marschierten als Kiepenfrauen zum Warentausch ins Harzvorland. Kinderarbeit in den Pochwerken war die Regel.

Harzer Kiepenfrau

 

Diese angespannte ökonomische Situation hat dazu beigetragen, dass sich eine ganze Reihe von Heischebräuchen (heischen = erbitten, erbetteln) mit karitativem Charakter entwickelt und bis ins 20 Jh. in den Dörfern und kleinen Städten gehalten haben: Arme Kinder und Jugendliche (Schüler) hatten das Privileg, singend Gaben zu sammeln, um ihre Not zu lindern. So kennen wir das Kurrende-, Silvester-/Neujahrs-, Dreikönigs-, Fastnachts- und Martinssingen.

Kurrende-Sänger im Oberharz um 1910

 

Das Dreikönigssingen (Sternsinger-Aktion) am 6. Januar hat seine Wurzeln in den geistlichen Mysterienspielen des Mittelalters. Daraus entwickelten sich Umzugs- und Stubenspiele mit der Darstellung des biblischen Geschehens. Drei als Könige verkleidete Kinder (Caspar, Melchior, Balthasar) zogen mit einem vergoldeten Stern an einem Stab in den Straßen umher, sagten dabei Gaben heischende Sprüche auf und sangen ihre Lieder. Dabei wurde häufig ein sog. Herodeskasten mitgeführt, in dem die Drahtpuppe des Herodes saß und mit dem Kopf aus dem Fenster nickte. Dieses Ummesingen ist aus vielen Dörfern des Harzes und Harzvorlandes bekannt. So hatten Kinder und Jugendliche aus Schierke bis etwa 1870/71 das Vorrecht, im reichen katholischen Eichsfeld zu Ehren der Heiligen Drei Könige als Sternsinger von Haus zu Haus zu ziehen und Gaben zu sammeln.

Klangbeispiel

Es kommen drei Weisen aus dem Morgenland (Frankenberger Kinderchor, Ltg. U. Kern, Goslar 2001)

 

Dieser einst über ganz Deutschland verbreitete Heischebrauch hat sich gewandelt in die heutige „Aktion Sternsinger“, die weltweit größte organisierte Aktion für Kinderhilfsprojekte. Die Initialen der Königsnamen C, M und B erfuhren etwa seit den 1950er-Jahren eine Umdeutung als Abkürzung der lateinischen Worte „Christus mansionem benedicat“ (Christus segne dieses Haus). Zusammen mit der jeweiligen Jahreszahl an die Haustür geschrieben, soll sie den Segen Gottes auf das Haus und seine Bewohner herabrufen und vor Unglück schützen.  Neue Heischelieder sind hinzugekommen.

Sternsinger

 

Früher konnte man am Silvesterabend in den Harzdörfern, so auch in Benneckenstein, Kinder beobachten, die zu zweit, zu dritt oder auch in größeren Trupps durch die Straßen liefen und bald hier, bald dort vor einem Hause stehen blieben. Sie wollten mit altüberkommenen Liedern zum Neuen Jahr Gutes wünschen. Schnell stürmten sie den kleinen Steintritt hinauf, öffneten behutsam die Haustür, zwängten sich in den Flur hinein und fingen an zu singen. Dann blieb es eine Weile still. Plötzlich wurde die Haustür wieder aufgerissen, und lustig und laut kam die kleine Sängerschar herausgestürmt und bliebt erst einmal stehen. Schnell öffneten alle dann ihre kleinen weißen Leinenbeutel, die sie an einer Schnur um den Hals trugen, und betrachteten die Gaben, welche sie erhalten hatten. Das waren kleine Christstollen, Äpfel, Plätzchen oder Lebkuchen und vielleicht auch einmal ein Geldstück.

Silvestersingen in Benneckenstein um 1930

Klangbeispiele

Heute lasst uns singen (Kinder aus Benneckenstein 1937)

Drei Rosen (Chor des Werner-von-Siemens-Gymnasiums, Ltg. W. Zirbek, Bad Harzburg 1965)

Eine goldene Schnur geht um das Haus (Chor des Werner-von Siemens- Gymnasiums, Ltg. W. Zirbek, Bad Harzburg 1965)

Noten zum Download

Drei Silvesterlieder

Links

Neue Sternsinger-Lieder

Auch bei der Spergauer Lichtmeß im Saalekreis spielt der Heischgang eine Rolle.

Lutz Wille 2020