Museen & Sammlungen

Wernigeröder Tanzbüchlein (Sammlung von Tänzen)

Bauerntanz

 

Das Wernigeröder Tanzbüchlein von 1786, eine handschriftliche Notensammlung mit über hundert kurzen Tanzstücken, ist ein „Dokument der regionalen Tanzkultur des 18. Jahrhunderts […] aus dem Bereich des bürgerlich volkstümlichen Tanzens“ (Thom/Kiehl 1993, Vorwort) im Raum Wernigerode. Seit 1993 gibt es ein Reprint, herausgegeben vom ehemaligen „Institut für Aufführungspraxis der Musik des 18. Jahrhunderts“ (heute „Musikakademie Sachsen-Anhalt für Bildung und Aufführungspraxis“) mit Sitz im Kloster Michaelstein bei Blankenburg. Das Original war zur damaligen Zeit im Besitz des Heimat- und Skimuseums Braunlage, wie die Herausgeber im Nachwort schreiben (ebd., S. 148).

Friedrich August Schmidt: Stadt Wernigerode vom Eisenberg, ca. 1820

 

Das Buch umfasst „150 beschriebene Seiten im Format 10 x 17 cm in Pappe gebunden“ (ebd.) und hat somit eine Größe, die leicht in eine Jackentasche passt. Auf dem mehrfach überschriebenen Titelblatt lässt sich, aufgrund von Gebrauchsspuren schwer lesbar, neben Ort, Jahr der Entstehung und den Namen Christian Wippert (der „Urheber“?) und Johanne Henriette Gereken, die mehrfach und in verschiedenen Schreibweisen als spätere Besitzerin in dem Büchlein auftaucht, auch dessen Zweck ablesen: Es handelt sich um ein Violinbuch, vermutlich zum praktischen Gebrauch für Musiker, die in Wirtshäusern, bei Festlichkeiten oder öffentlichen Schießveranstaltungen (Pfingst- und Freischießen) zum Tanz aufspielten, also im wahrsten Sinne des Wortes um „Kneipenmusik“ (s. Link unten: Hinweise unter 4teachers.de). In der Sammlung sind unterschiedliche Handschriften und Nummerierungen vertreten, sie wurde demnach von mehreren Personen erstellt. Auch Tanzbeschreibungen, die mit Zahlen die einzelnen Tänzer benennen und durch Linien die Bewegungen der Tanzenden dokumentieren, sind zu finden.

Bei einigen weiteren im Büchlein genannten Namen handelt es sich explizit um den Schreiber des jeweiligen Tanzes, etwa „Scripsit J. H. C. Bornemann“ („Angloise“ S. 139). Andere werden aber auch ohne genauere Angaben einzelnen Tänzen zugeordnet.

Manche Tänze sind nummeriert, andere wiederum nicht. Auch die Zählweise selbst ist nicht einheitlich, beispielweise wird nach einer Zählung von „N 1“ bis „Nro 32“ nach zwei Leerseiten wieder von vorne gezählt. Die Tänze tragen entweder gar keine Bezeichnungen oder aber Namen wie Angloise, Cottilion (oder Contilion, Cottillon, Cottillion), Quadrille, Menuet, Ecossaise, March und Polonaise und entsprachen damit „voll der Mode und dem Geschmack des ausgehende 18. Jahrhunderts“ (Thom/Kiehl 1993, S. 148). Dabei differiert die Schreibweise stark. Auch finden sich Überschriften wie „Halleschen Studenten March“,  „Teutsch“, „Americaner“ oder „Prinz Ferdinandt“.

Indizien für eine vorrangige Ausführung auf der Violine sind nachweisbar: „Doppelgriffe, Saitensprünge, Phrasierungen“, bei zweistimmigen Tänzen Hinweise wie „Violino Primo“ und „Secondo“ (vgl. Thom/Kiehl 1993, S. 149). Zwischentexte wie „hier kämmt ein halt bis die Musik aus ist“ („Contilion“ S. 58) geben konkrete Ausführungsanweisungen für Musiker und Tanzmeister.

Dank der in den letzten Jahren wiederentdeckten Begeisterung für historische Tanzmusik machen es verschiedene Notenausgaben als gut lesbare Transkriptionen heute möglich, Tänze aus dem Wernigeröder Tanzbüchlein auf unterschiedlichen Instrumenten selbst zu musizieren, auch im Rahmen von Kursen und Workshops zur Folkmusik (s. Links unten).

Das vom Land Sachsen-Anhalt geförderte und von Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. im Jahr 2017 gestartete und durchgeführte Projekt Musikantenfreundliches Gasthaus lässt die alte Tradition des Musizierens in Wirtshäusern und Kneipen wieder aufleben. Unter dem auf der Website des Projektes angegebenem Notenmaterial befindet sich u. a. ein vom Landesheimatbund und dem LISA Halle (Landesinstitut für Lehrerfortbildung, Lehrerweiterbildung und Unterrichtsforschung von Sachsen-Anhalt) im Jahr 1996 herausgegebenes Liederbuch, 77 Lieder. Volkslieder und –spielstücke in Sachsen-Anhalt heute, in dem auch ein Tanz aus dem Wernigeröder Tanzbüchlein mit Tanzanweisung (S. 50/51) enthalten ist (Auszüge im PDF-Format auf dem Landesbildungsserver hier).

Klangbeispiele

Teutsch (Vivien Zeller, Violine)

N 12 Anglois (Vivien Zeller, Violine)

“Prinz Peter bei den Schweinen” (N 12 Anglois) (KlangRauschQuadrillenband 2015)

N 8 Anglois (Jan Kristof Schliep, Säckpipa)

N 1 Engl. (Matthias Branschke, Säckpipa)

Vgl. zu den beiden letzten Beispielen auch die Musikkoffer-Beiträge über Sackpfeifen in Sachsen-Anhalt und Fischer, Steffen – Dudelsackmacher in Köthen.

Literatur

Eitelfriedrich Thom (Hrsg), Ernst Kiehl (Nachwort), Wernigeröder Tanzbüchlein. Reprint der Ausgabe von 1786, Michaelstein 1993.

Noten

Neues aus alten Büchern I, II und III (tanzmusikarchiv.de, zum Bestellen)

Sessionbuch Großdalziger Kurssessions (mit mehreren Tänzen aus dem Wernigeröder Tanzbüchlein im einstimmigen Notensatz)

22 Tänze in einer Bearbeitung für Hummel (eine Art Zither, historisches Volksmusikinstrument, Noten zum Bestellen)

Notenmaterial bei 4teachers

Notenmaterial bei 4teachers (vierstimmig)

Wirtshauslieder (hrsg. vom Volksmusikarchiv des Bezirks Oberbayern)

Links

Folkmusikschule Halle

Kloster Michaelstein, Musikakademie/Museum

Kloster Michaelstein, Sitz der „Musikakademie Sachsen-Anhalt für Bildung und Aufführungspraxis“

Anregungen für den Unterricht

Auf der Internetseite 4teachers.de, die umfangreiches Lehrmaterial für Lehrkräfte aller Fachrichtungen anbietet, steht Community-Mitgliedern u. a. eine vierstimmige Fassung einiger Tänze für Blechbläser zur Verfügung (s. Noten).

Des Weiteren wäre es für Schüler sicher interessant, anhand der Reprint-Ausgabe die historische Notenhandschrift und deren moderne Übertragungen (s. unter „Noten“) zu vergleichen und vielleicht eine eigenen Transkription einzelner kurzer Tänze zu erstellen. Die Reprint-Ausgabe kann im Kloster Michaelstein an der Museumskasse für 10.30 € erworben oder aber auch über E-Mail bestellt werden (Hinweise zu Publikationen und Bestellungen hier).

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Das Wernigeröder Tanzbüchlein als Beispiel für bürgerlich volkstümliche Tanzmusik im 18. Jahrhundert (Lückentext; Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

SM 2018