Musikleben

Niemann, Albert (1831–1917, Opernsänger)

* 15. Januar 1831 in Erxleben, † 13 Januar 1917 in Berlin

Albert Wilhelm Carl Niemann

Biografie

Albert Wilhelm Carl Niemann wurde am 15. Januar 1831 in Erxleben im heutigen Landkreis Börde geboren. Im nahe gelegenen Magdeburg erhielt er ersten Schulunterricht, bevor er die Realschule in Aschersleben besuchte. Erste Berührungspunkte mit dem Musiktheater hatte Niemann wohl in Bad Helmstedt, wo regelmäßig eine Theatergruppe zu Gast war (vgl. Sternfeld 1904).

Geburtshaus des Opernsängers Albert Niemann in Erxleben

 

Gedenktafel am Geburtshaus von Albert Niemann

 

Nach seinem Schulabschluss begann Albert Niemann jedoch erst einmal eine Ausbildung in einer Maschinenfabrik. Ab 1849 übernahm er Statistenrollen bei Gastauftritten in Halberstadt und wurde noch im selben Jahr für kleinere Rollen im Schauspiel und als Chorsänger in der Oper nach Dessau engagiert. Dort bekam er, entdeckt durch den Dessauer Hofkapellmeister Friedrich Schneider, erstmals eine Gesangsausbildung zum Solisten bei dem Bariton Albert Nusch.

In den Folgejahren führten ihn diverse Engagements u. a. nach Darmstadt, Halle (hier als 1. Tenor mit Höchstgage, vgl. Bandoly) und Stettin. 1853 befand er sich kurze Zeit in Berlin an der Hofoper, wo er Gesangsunterricht bei Eduard Mantius erhielt. Insbesondere an der prestigeträchtigen Berliner Opernbühne konnte er die hohe Erwartungshaltung der Berliner Kritiker nicht erfüllen und wurde schließlich nach einigen verunglückten Vorstellungen auch vom Unterricht freigestellt (vgl. Sternfeld 1904).

Nach einem überzeugenden Auftritt in Stettin bekam Niemann 1854 eine Anstellung am Hannoverschen Hof, die er bis 1866 innehaben sollte. Dafür wurde er vom preußischen Militärdienst befreit. Das Sommerhalbjahr 1854 soll Niemann genutzt haben, um sich in neue Rollen einzuspielen, wobei es ihn nach Königsberg (heute Kaliningrad) und von dort in die Provinz (nach Insterburg und/oder Gumbinnen) führte. Dort soll er auf einer nicht-höfischen Bühne in einem früheren Wagenschuppen das erste Mal den Tannhäuser in der gleichnamigen Wagner-Oper gesungen haben. Anschließend schrieb er in einem Brief an die Hannoversche Intendanz: „Diese Rolle ist wie für mich geschaffen!“ (Sternfeld 1904, S. 18)

1855 ermöglichte König Georg V. von Hannover einen Studienaufenthalt Niemanns in Paris bei dem Komponisten und Tenor Gilbert Duprez, wo er auch das französische und italienische Opernrepertoire kennenlernte. Im selben Jahr sang Niemann in Hannover die Titelrollen in den dortigen Erstaufführungen von Richard Wagners Tannhäuser und Lohengrin, was seinen Ruf als führender deutscher Heldentenor begründete.

Am 31. Mai 1859 vermählte sich Albert Niemann mit Marie Seebach, einer in Deutschland gefeierten Schauspielerin, welche insbesondere durch die Rolle des Gretchens in Goethes Faust bekannt wurde.

Brief von Richard Wagner an Albert Niemann, aus Richard Sternfeld 1904

 

Um 1855 ist auch Richard Wagner aufgrund von Niemanns anhaltenden Erfolgen auf diesen aufmerksam geworden, woraufhin er zunächst brieflich mit ihm verkehrte. Wagner sah in Niemann den zukünftigen Siegfried für seinen Ring des Nibelungen und holte ihn schließlich für die Titelrolle im Tannhäuser bei der französischen Erstaufführung 1861 nach Paris. Die Vorstellung wurde jedoch durch das Pariser Opernpublikum ausgepfiffen und es kam zum Skandal. Es wird vermutet, Niemann habe aus Empörung seinen Hut ins Publikum geworfen (vgl. Sternfeld 2004). Daraufhin zerstritten sich Wagner und Niemann und es gab etwa zehn Jahre keinen Kontakt zwischen beiden.

Mit dem Sieg Preußens über Österreich und seine Verbündeten – darunter auch das Königreich Hannover – im Deutschen Krieg von 1866 wurde Niemann im selben Jahr erneut an der Königlichen Hofoper in Preußens Hauptstadt Berlin engagiert. Mit etwa 70 Vorstellungen im Jahr (vgl. Sternfeld 1904, S. 59) wurde er zusammen mit anderen bekannten Opernpersönlichkeiten zum Statussymbol der Berliner Hofoper. Niemann avancierte in dieser Zeit zum führenden Wagner-Interpreten.

In Berlin heiratete er schließlich im Jahr 1870, nach der 1867 erfolgten Scheidung von Marie Seebach, seine zweite Frau, die Schauspielerin Hedwig Raabe.

1872 erfolgte die Aussöhnung mit Wagner, der Niemann für die Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie anlässlich der Grundsteinlegung für sein neues Festspielhaus in Bayreuth engagierte. 1876 sang Niemann Wagners Tristan und Isolde in Berlin und wurde im selben Jahr zu den Bayreuther Festspielen berufen. Dies kann gleichzeitig als der Höhepunkt seiner Karriere betrachtet werden. Allerdings trat er letztendlich in Bayreuth „nur“ als Siegmund in der Walküre und nicht als Siegfried auf, wie es zeitweilig im Gespräch war. Besonders Cosima Wagner soll den „Bayreuther Geist“ bei Niemann vermisst haben, welcher „bedingungslose Ergebenheit“ verlangt habe (vgl. Luther 2016).

Ab 1876 erhielt Niemann nur noch wenige Rollen in Berlin, hatte aber1886/88 ein Engagement an der Metropolitan Opera in New York, wo er seine größten internationalen Erfolge feierte. Nach einer Intrige seitens der Hofoperndirektion gab Albert Niemann 1888 seinen Rücktritt in Berlin bekannt und verlegte seine offiziellen Abschiedsvorstellungen im Januar 1889 bewusst nach Hannover. Am 15. Februar 1892 hatte er seinen letzten öffentlichen Auftritt mit dem Siegmund im ersten Walkürenakt in der Berliner Philharmonie.

Albert Niemann starb am 13. Januar 1917 in Berlin.

Musikhistorische Bedeutung

„[…] den Edelwuchs der Gestalt, die Macht einer herrlichen, bezwingenden Erscheinung; und wenn das Auge an den Eindrücken des Wagnerschen Dramas einen gleich grossen Anteil hat, wie das Ohr, wenn der Meister selbst von solchem Eindrucke eines schönen und glänzenden Äusseren sich willig gefangen nehmen liess, so war Niemann der berufene Künstler, der in seiner, wie aus einem Gusse geformten Persönlichkeit alle die Vorbedingungen der Heldendarstellung in reichstem Maße darbot. Kam zu diesen Vorzügen der Erscheinung noch die gewaltige dramatische Begabung, die Hoheit des Ganges, die Bestimmtheit der Gebärde, die Kraft des Ausdrucks und endlich die Fähigkeit jenes tragischen ‚Schmerzensakzentes‛, so gab es ein Gesamtbild von unvergesslichem Reize, und es trat hier gleichsam in einem Manne die Inkarnation des Gesamt-Kunstwerkes zutage. Darum wird Albert Niemann immer zuerst genannt werden, wenn ein Name ausgesprochen werden soll, um kurz und treffend einen Höhepunkt der deutschen Schauspielkunst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu bezeichnen und zwar auf dem Felde, das damals die reichsten, herrlichsten Früchte trug: auf der Opernbühne.“ (Sternfeld 1904, S. 10/11)

aus Richard Sternfeld 1904

 

Mit diesen Worten beschreibt Richard Sternfeld (1858–1926) das Auftreten Albert Niemanns auf der Bühne. Die Opernbühne und das Musiktheater erregten vor allem in der „gebildeten“ Oberschicht des 19. Jahrhunderts starkes Interesse, wodurch die großen Opernsänger als Repräsentanten der fürstlichen und königlichen Höfe hohe Bekanntheit erlangten, so auch Albert Niemann. „Gastspiele an den wichtigsten Opernhäusern der Welt machten ihn zum berühmtesten Bühnensänger seiner Zeit.“ (Luther 2016)

Niemann war neben Josef Tichatschek und Schnorr von Carolsfeld (vgl. Sternfeld 1904) einer der bekanntesten Heldentenöre zu Lebzeiten Wagners. Seine Tenorstimme wird als in exponierter Höhe begrenzt und von baritonaler Färbung, aber von großer Durchschlagskraft beschrieben (Luther 2016). Er sang zwar auch viele andere Partien in italienischen, französischen oder deutschen Opern, erlangte seine Popularität jedoch durch die Interpretationen der dramatischen Wagner-Opern.

aus Richard Sternfeld 1904

 

Sternfeld schreibt ebenso in Das Theater 1904: „Niemann konnte nur in einer Kunstepoche aufkommen und an die erste Stelle rücken, wo Gebärde und Spiel auch auf der Opernbühne nicht mehr, wie früher, Nebensache oder angenehme Zugabe war, sondern notwendiges Erfordernis einer Kunstleistung“ (Sternfeld S. 7), und „dass es sich hierbei nicht um die Stimme allein – und wäre es die schönste – handeln kann, sondern um eine Persönlichkeit, bei dem das Stimmorgan nur Mittel zum Zwecke ist, also um einen Sänger, der vor allem auch Darsteller ist.“ (Ebd., S. 6)

Klangbeispiele

Liebesduett aus Tristan und Isolde (historische Aufnahme; Angaben allerdings zweifelhaft, s. Kommentare)

 

Die Niemannstraße in Berlin Friedrichshain, benannt in Gedenken an Albert Niemanns Wirken in der damaligen preußischen Hauptstadt

Literatur

Sieglinde Bandoly, Art. „Niemann, Albert Wilhelm Carl“, in: Magdeburger Biographisches Lexikon, http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/1060.htm (abgerufen am 19. September 2018).

Marion Brück, Art. “Niemann, Albert” in: Neue Deutsche Biographie19 (1999), S. 230 f. [Online-Version], URL: https://www.deutsche-biographie.de/pnd117001686.html#ndbcontent.

Einhard Luther, Art. „Niemann, Albert“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., zuerst veröffentlicht 2004, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/17161.

Richard Sternfeld, Albert Niemann, Berlin 1904 (= Das Theater, Band IV, hrsg. von Carl Hagemann) [Online-Version], URL: https://sammlungen.ulb.uni-muenster.de/hd/content/pageview/4571928.

Heinrich Lörzer 2018

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2018 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.