Musikleben

Breuer, Hans (1883–1918), Herausgeber des „Zupfgeigenhansl“

* 30. April 1883 in Gröbers, † 20. April 1918 bei Verdun

Hans Breuer gab im Jahr 1909 das Liederbuch Der Zupfgeigenhansl heraus, eine der einflussreichsten Liedersammlungen des 20. Jahrhunderts.

Hans Breuer, um 1910

Biografie

Hans Breuer (eigentlich Johannes Emil Breuer) wurde in Gröbers im Saalekreis im heutigen Sachsen-Anhalt geboren und wuchs mit drei Schwestern im schlesischen Bunzlau auf, wo seine Eltern 1889 eine Glasfabrik seines verstorbenen Großvaters mütterlicherseits übernahmen. Er wurde in Bunzlau eingeschult und besuchte dort später auch das Gymnasium. 1898 zog die Familie nach Berlin und Hans wechselte auf das Steglitzer Gymnasium, das als Keimzelle des „Wandervogels“ gilt. Dabei handelt es sich um eine durch Naturverbundenheit und Geselligkeit als Gegenpol zum bürgerlichen Leben der Elterngeneration und zur aufkommenden Industrialisierung in den Städten geprägte Aufbruchsbewegung junger Menschen, die die Jugendbewegung im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts einläutete.

Nach einer Auftaktphase ab 1898, in der der Berliner Student Hermann Hoffmann, der am Steglitzer Gymnasium  Stenografiekurse gab, mit den Schülern zunächst kürzere, später dann mehrwöchige Wandertouren mit Übernachtung im Freien unternahm, wurde 1901 von Hoffmanns ehemaligem Schüler Karl Fischer mit Hilfe einiger Steglitzer Honoratioren der „Wandervogel – Ausschuß für Schülerfahrten e. V.“ offiziell gegründet. Bereits ab 1899 nahm Breuer an den Wanderungen teil und wurde Anhänger der frühen Wandervogelbewegung.

Nach einer Spaltung des Vereins im Jahr 1904, die im Wesentlichen auf Kritik an der starken Führungsposition und dem autoritären Stil Fischers zurückging, folgte Breuer diesem in den „Alt-Wandervogel e. V.” (AWV), wie sich der Verein in Abgrenzung zum neu gegründeten „Steglitzer e. V.“ jetzt nannte. Er wurde neben Wolfgang Meyen und Ernst Anklam von Fischer zum „Oberbachanten“ (in Anlehnung an die mittelalterlichen Vaganten) ernannt. Fischer selbst war der „Groß-Bachant“. Er studierte jetzt Jura und Sinologie in Halle (Saale), wo auch die neue Zentralstelle des AWV entstand. Von dort breitete sich die Wandervogelbewegung rasant aus und 1908 gab es bereits 2076 Eingetragene in 44 Ortsgruppen.

Hans Breuer studierte nach dem Abitur im Jahr 1903 Medizin, Kunstgeschichte und Philosophie in Marburg, Tübingen, München und Heidelberg. Nach dem Austritt des Jenaer Ortsvereins des AWV aufgrund von Streitigkeiten um die von den Jenaern geforderte Abstinenz von Alkohol und Nikotin gründete sich 1907 der „Wandervogel, Deutscher Bund für Jugendwanderungen“, dem sich viele Mitglieder anderer Wandervogelvereine anschlossen und der sich für Alkoholabstinenz und Mädchenwandern einsetzte.. Hans Breuer wurde 1910/11 dessen Bundesleiter.

In Heidelberg rief Breuer 1907 die „Heidelberger Pachantey“ ins Leben, einen Ortsverein, der sich vermehrt mit Volkslied und Volkstanz als Teil der Wandervogelbewegung beschäftigte und diese dadurch nachhaltig beeinflusste. Im Jahr 1909 gab er die Liedersammlung Der Zupfgeigenhansl heraus, in der er sowohl von „Wandervögeln“ gesammelte und mündlich überlieferte Lieder als auch aus anderen Sammlungen wie dem Deutschen Liederhort von Ludwig Erk und Franz Magnus Böhme (1893/94) entnommene vereinte (Reinfandt 2016).

Ab 1910 war Breuer Assistenzarzt in verschiedenen ost- und süddeutschen Städten und heiratete 1913 die Wandervogel-Freundin Elisabeth Riegler, die 1917 jung verstarb und mit der er eine Sohn hatte. 1913 ließ sich die Familie in Gräfenroda in Thüringen nieder. Trotz attestierter Kriegsuntauglichkeit wegen Kurzsichtigkeit meldete sich Breuer freiwillig als Sanitätsgefreiter und später Arzt im Ersten Weltkrieg und kam am 20. April 1918 in der Nähe von Verdun ums Leben, nachdem er in einem Sanitätsunterstand verschüttet worden war.

Der Zupfgeigenhansl, 90. Aufl., Leipzig 1920, Titelblatt

Der “Zupfgeigenhansl”

Hans Breuer kam über seinen  Lehrer und Chorleiter am Steglitzer Gymnasium, Max Pohl, mit dem deutschen Volkslied in Berührung und lernte es schätzen. Singen zur Gitarre beim Wandern und am Lagerfeuer war von Anfang an Teil der Wandervogelbewegung und es gab beispielsweise schon 1899 für Teilnehmer an der legendären zweiwöchigen „Böhmerwaldfahrt“ die Verpflichtung, eine festgelegte Liederauswahl vorab einzuüben (Rappe-Weber 2018, S. 228). Im Volkslied im Gegensatz zum sogenannten Kunstlied des 19. Jahrhunderts sahen die Jugendlichen ein unverfälschtes kulturelles Erbe, das ihrem Lebensgefühl von Freiheit, Romantik, Naturverbundenheit und Geselligkeit Ausdruck verlieh.

Breuer war es, der die „Bedeutung eines angemessenen Liedguts“ (Ehrenforth 2005, S. 404) erkannte und mit seiner Liedersammlung Der Zupfgeigenhansl, die im Frühjahr 1909 (mit einem Vorwort vom Dezember 1908) erschien, eines der auch im Rückblick wichtigsten Liederbücher des 20. Jahrhunderts herausgab. Es war benannt war nach der damals als Begleitinstrument beliebten Gitarrenlaute, auch Zupfgeige genannt.

Breuer lehnte Schlager- und Operettentitel ab, ebenso auch „Kneipenpoesie, Leierkastenrührseligkeit und Butzenscheibenlyrik“ (Lissner 1932, zit. n. ebd.), wie sie zum Teil bei den Wandervögeln verbreitet waren. Sein Anspruch war es, „neben dem gewohnten und allseits beliebten auch wertvolles Liedgut“ aufzunehmen (ebd.). Im Vorwort zur ersten Ausgabe des Zupfgeigenhansl schrieb er: „Was Jahrhundert um Jahrhundert im Volke fortgelebt, was der Zeit getrotzt, muss einfach gut sein” (Breuer 1920, Vorwort zur 1. Aufl.). Er  folgte mit seiner Liedersammlung dem Ansatz Herders, „wonach ein Lied aus unmittelbarem Naturempfinden entspringt und von höherer Kultur noch nicht verbildet ist“ (Reinfandt 2016).

Die Illustrationen im Zupfgeigenhansl, die wie Scherenschnitte wirken, stammen von dem Maler  Hermann Pfeiffer. Das Buch selbst wurde unter Wandervögeln geradezu kultisch verehrt und häufig in kunstvoll geschmückten und verzierten Schutzumschlägen beim Wandern mitgeführt. Es wurde quasi zum „Katechismus des Wandervogels“ (König 2001, S. 4).

Breuer sprach sich zudem für eine gewisse „Gesangskultur“ aus, die – besonders in der Natur – dem solistischen Gesang den Vorzug gab: „Bitte möglichst wenig Chorgebrülll! Auf der Landstraße selbstverständlich und unter dem Stadttore fortissimo. Aber inmitten der freien Landschaft, da ist die einzelne Menschenstimme etwas einzigartig Schönes […]“. (Breuer 1920, Vorwort zur 1. Aufl.)

Die erste Auflage des Zupfgeigenhansl umfasste 80 Lieder, 1929 waren es schon 260. Bis 1933 wurden 159 Auflagen in über einer Million Exemplaren gedruckt (Ehrenforth 2005, S. 407). Die Sammlung ist gegliedert in 16 Themenbereiche, darunter „Abschied” (z. B. Innsbruck, ich muss dich lassen), „Liebesklage” (z. B. Ich hab die Nacht geträumet), „Abend“ (z. B. Es dunkelt schon in der Heide), „Sommerlust” (z. B. Herzlich tut mich erfreuen), „Geistliche Lieder“ (z. B. Maria durch ein Dornwald ging), „Soldatenlieder“ (z. B. Wir zogen in das Feld) sowie „Beim Bauer”, „Schlemmerlieder” und „Auf der Landstraße” u. a. Darunter sind nicht nur deutsche Volkslieder im engeren Sinne, sondern auch altdeutsche Lieder, Mundartenlieder und ausländisches Liedgut wie Im Frühtau zu Berge aus Schweden oder Zogen einst fünf wilde Schwäne aus Litauen. Seine endgültige und bis heute verlegte Form erhielt das Liederbuch 1913 (Inhaltsverzeichnis der 90. Auflage von 1920 hier). Später erschienen Ausgaben mit Gitarren- oder Klavierbegleitung. Zahlreiche Lieder aus dem Zupfgeigenhansl finden sich auch in heutigen Liederbüchern, wie z. B. Ade zur guten Nacht (s. Bild unten).

„Ade zur guten Nacht“ in der 90. Auflage des Zupfgeigenhansl von 1920 unter der Rubrik „Abschied“ (Ausgabe mit Akkordbezifferung)

 

„Man kann mit gutem Gewissen sagen, dass der Erfolg des Zupfgeigenhansl der des ‚Wandervogel‘ und der Jugendbewegung war. Im wandernden Erleben der Natur, der solidarischen Gemeinschaft und einer selbstbewussten neuen Generation war es das Lied, das dem allen einen verbindenden und verbindlichen Ausdruck verlieh“ (Ehrenforth, S. 407). Aus der Jugendbewegung entwickelte sich nach Ende des Ersten Weltkriegs die Jugendmusikbewegung, die ohne den „Wandervogel“ undenkbar gewesen wäre.

Das vorwiegend in den 1970er- und 1980er-Jahren aktive Folk-Duo „Zupfgeigenhansel“, bestehend aus Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz, benannte sich nach Breuers Liederbuch. Die beiden Musiker spielten alternative deutsche Volksmusik und gaben selbst mehrere Liederbücher heraus. Besonders das Album Es wollt ein Bauer früh aufstehn – Die schönsten Volkslieder von 1982 war sehr erfolgreich. Ihr Repertoire überschnitt sich aber nur teilweise mit den Liedern aus dem Zupfgeigenhansl. Sänger*innen wie Hannes Wader oder in jüngerer Zeit die in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt aufgewachsene Bobo halten bis heute mit ihren Volksliedinterpretationen die Lieder des Zupfgeigenhansl auch für breiterer Bevölkerungsschichten lebendig.

Im Jahr 1983 gab Bertold Marohl unter Mitarbeit  der Volkssänger Hein & Oss Kröher im Schott Verlag in Mainz das Liederbuch Der neue Zupfgeigenhansl heraus. Dabei handelt es sich um „121 junge Lieder mit Texten, Melodien, Akkordbezifferung, Photographien sowie einer Grifftabelle für Gitarre“ (Marohl 1983). Die enthaltenen Lieder bieten einen Querschnitt durch die Folk-Szene der 1970er- und 1980er-Jahre.

In Hans Breuers Geburtsort Gröbers ist eine Straße im nach der Wende neu erschlossenen Ortsteil Schwoitsch nach ihm benannt.

Straßenschild in Gröbers

Klangbeispiele

Ade zu guten Nacht, Hannes Wader, Live 1990

Es geht eine dunkle Wolk herein in einer Interpretation der in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt aufgewachsenen Sängerin Bobo aus dem Album Lieder von Liebe und Tod von Bobo & Herzfeld aus dem Jahr 2007

 Wie schön blüht uns der Maien, interpretiert von dem Duo „Zupfgeigenhansel“ aus dem Album Liebeslieder

Literatur / Quellen

Hans Breuer (Hrsg.), Der Zupfgeigenhansl, 90. Aufl., Leipzig 1920, https://digital.ub.uni-duesseldorf.de/content/titleinfo/2065449.

Karl Heinrich Ehrenforth, Geschichte der musikalischen Bildung. Eine Kultur-, Sozial- und Ideengeschichte in 40 Stationen. Von den antiken Hochkulturen bis zur Gegenwart, Mainz 2005.

Helmut König, Der Zupfgeigenhansl und seine Nachfolger, Erweiterte Druckfassung eines Vortrages vom 2.11.2001, https://strubb.de/Singen%20in%20den%20Buenden.pdf, abgerufen am 22.03.2021.

Bertold Marohl (Hrsg.), Der neue Zupfgeigenhansl, Mainz 1983.

Susanne Rappe-Weber, „Hans Breuer (1883–1918). Stationen des Gedenkens zwischen Zupfgeigenhansl und völkischem Denken“, in: Musik in Baden-Württemberg. Jahrbuch 2017/18, Jubiläumsband, Heidelberg 2018, S. 227–235, https://link.springer.com/chapter/10.1007/978-3-476-04682-6_17, abgerufen am 18.03.2021.

Karl-Heinz Reinfandt, Art. „Breuer, Hans“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, 2016ff., zuerst veröffentlicht 2000, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/article?id=mgg02042&v=1.0&rs=mgg02042.

Lutz G. Wetzel, “Die schlichte, schöne Art des Volkes”, https://www.welt.de/welt_print/article3432320/Die-schlichte-schoene-Art-des-Volkes.html, veröffentlicht am 24.03.2009, abgerufen am 23.03.2021.

Links

Hans Breuer in der Neuen Deutschen Biographie

Heidelberger Geschichtsverein e. V.

Musik bewegt. Zu Lied und Musik der Jugend- und Singbewegung bis zum Zweiten Weltkrieg, Autor: Markus Zepf

Anregungen für den Unterricht

  • Heraussuchen und Singen von Liedern aus dem Zupfgeigenhansl, die sich in heutigen Liederbüchern erhalten haben
  • Bedeutung der Lieder für die Zeit der Jugendbewegung und in der Gegenwart
  • Beim Wandern auf der Straße der Lieder bei Stolberg können Lieder aus dem Zupfgeigenhansl in freier Natur gesungen werden.

SM 2021