* 16. März 1920 in Frankfurt am Main, † 26. Oktober 2001 in Halle (Saale)
Biografie
Gerhard Wohlgemuth wuchs in Bremen und an der pommerschen Ostseeküste auf. Trotz seiner musikalischen Neigungen begann er nach dem Abitur zunächst ein Medizinstudium in Greifswald, das er bereits ein Jahr später mit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges unterbrechen musste. 1944 führte eine Tuberkuloseerkrankung dazu, dass er den Militärdienst beenden und sein Medizinstudium in Halle wieder aufnehmen konnte. Als er 1948 für sein Concertino für Klavier und Orchester einen Preis erhielt, brach er das Studium ab.
Seine musikalische Ausbildung erfolgte teils autodidaktisch, teils durch Privatunterricht (u. a. bei Fritz Reuter). Es folgten Engagements beim Landessender Halle (bis 1949), als Lektor beim Mitteldeutschen Verlag in Halle (1949 bis 1955) und schließlich als Cheflektor beim Friedrich Hofmeister Musikverlag in Leipzig (1955/56). Danach ließ er sich als freischaffender Komponist in Halle nieder, wo er von 1956 bis 1972 als Lehrbeauftragter für Musiktheorie am Musikwissenschaftlichen Institut der halleschen Universität tätig war. Zeitweise war er auch beratender Lektor bei der VEB Edition Peters Leipzig.
Gerhard Wohlgemuth war Mitbegründer und ab 1952 Vorstandsmitglied des Komponistenverbandes der DDR. Von 1969 bis 1991 war er Mitglied der Ost-Berliner Akademie der Künste. Er wurde unter anderem mit dem Kunstpreis der Stadt Halle (1955), dem Händelpreis (1962) und für sein Violinkonzert mit dem Kunstpreis der DDR (1964) ausgezeichnet.
Musik
„Gerhard Wohlgemuth war wohl der wichtigste Komponist aus Sachsen-Anhalt in der Zeit der DDR“ (Marggraf 2009, S. 17, in: Komponisten aus Sachsen-Anhalt Vol. 2, s. u. Literatur), so die Einschätzung des Komponisten und Professors an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Jens Marggraf, der Wohlgemuth zudem eine „Janusköpfigkeit“ im Umgang mit den staatlichen Autoritäten bescheinigt, die sich auch in seinen Werken zeigt.
Besonders in den 1950er- und 1960er-Jahren war der Komponist sehr produktiv. Bei seinen frühen Kompositionen handelte es sich um folkloristische Spielmusik in Anknüpfung an Paul Hindemith mit einer liedhaften, freitonalen Melodik, Polyrhythmik und häufigen Unisoni. Diese Stilmittel finden sich auch noch in seinem späteren Schaffen wieder.
Das Streichquartett Nr. 1 aus dem Jahr 1960 weist hingegen als erste Komposition in der DDR überhaupt deutliche Merkmale der Zwölftontechnik auf, was kontroverse Diskussionen auslöste, da man die Vorgaben der Ästhetik des damals bindenden Sozialistischen Realismus verletzt sah. Allerdings wurde dieser „Ausflug“ in die Dodekaphonie bei Wohlgemuth nicht zum kompositorischen Prinzip in seinen späteren Werken erhoben. Sein Streichquartett Nr. 3 basiert beispielsweise auf Viertongruppen und lässt kein übergeordnetes Formmodell erkennen (vgl. Marggraf 2009, s. o., S. 18). Auch schuf er beispielsweise Kompositionen zu offiziellen Anlässen, wie 1971 die Kantate Genossen, der Sieg ist errungen, sowie zahlreiche DEFA-Filmmusiken.

Werke
Gerhard Wohlgemut komponierte Werke fast aller Gattungen. Hier eine Auswahl:
Kammermusik:
ENSEMBLE
Sextett für Streichinstrumente und Klavier (1955)
„Supremalitapega“ für Bläserquintett (1992)
Streichquartett Nr. 1(1960)
Streichquartett Nr. 2 „Dölauer Quartett“ (1968)
Streichquartett Nr. 3 (1976/77)
VIOLINE SOLO
Violinsonate (1955)
KLAVIER SOLO
Klaviersonate Nr. 2 B-Dur (1946)
3 Sonatinen (1944, 1945, 1949)
Inventionen (1949)
Variationen über ein Thema von G. F. Händel für zwei Klaviere (1969)
Orchestermusik:
Sinfonie Nr. 1 (1953)
Sinfonie Nr. 2 (1958, rev. 1962)
Sinfonie Nr. 3 (1983)
Sinfonia breve (1952)
Sinfonietta (1956)
Suite für Orchester in fünf Sätzen (1953)
Händel-Metamorphosen. Variationen über eine Sarabande von Händel (1958)
Telemann-Variationen (1964)
„L’ Allegria“, Divertimento (1965)
Sinfonische Musik (1970)
Konzerte:
Concertino für Klavier und Orchester (1948)
Concerto piccolo für Klavier und kleines Orchester, EU-Musik Nr. 2 (um 1985)
Divertimento für Klavier und Orchester, EU-Musik Nr. 1 (um 1986/87)
Violinkonzert (1963)
Concertino für Oboe und Streichorchester (1957)
Vokalmusik:
„Jahre der Wandlung“, Oratorium für Sprecher, Soli, Knabenchor und Orchester (1961)
„Genossen, der Sieg ist errungen“, Kantate für Soli, Chor und Orchester (1971)
„Wer ist der arm, der nicht zu träumen weiß“, Kantate für Soli, Chor und Orchester (1974)
Bühnenwerke:
„Till“, Oper in vier Bildern (1952)
„Provençalisches Liebeslied“, Ballett (1954)
Hinzu kommen zahlreiche Filmmusiken und Lieder, von denen insbesondere die Weihnachtslieder sehr geschätzt wurden.
Klangbeispiele
Gerhard Wohlgemuth, Streichquartett Nr. 3, Minguet Quartett, zu finden auf der CD Komponisten aus Sachsen-Anhalt Vol. 2, hrsg. vom Musikalischen Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt 2009
Konzert für Violine und Orchester, 1_2, dasselbe 2_2, Violine: Maria Vermes, Rundfunk-Sinfonie-Orchester Leipzig, Dirigent: Herbert Kegel, aufgenommen 1964, Leipzig
Streichquartett Nr. 1, Erben Quartett, Aufnahme 1972
Still senkt sich die Nacht hernieder (Weihnachtslied), gesungen von den Potsdamer Vokalistinnen, Text: Hermann Heinz Wille , Satz: Reinhard Tschache
Die Abenteuer des Werner Holt, Trailer, DEFA-Film von 1965 mit Musik von Gerhard Wohlgemuth
Literatur
Lars Klingberg, Art. „Wohlgemuth, Gerhard“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2007, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/article?id=mgg13951&v=1.0&rs=mgg13951.
Musikalisches Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt / Musikinformationszentrum Zeitgenössische Musik / Kerstin Hansen (Hrsg.), Komponisten aus Sachsen-Anhalt Vol. 2, München 2009 (= Gedanken zur Musik. Eine Schriftenreihe zum Musikleben in Sachsen-Anhalt, Heft 5).
Riemann Musiklexikon, Aktualisierte Neuauflage in fünf Bänden, hrsg. von Wolfgang Ruf in Verbindung mit Annette von Dyck-Hemming, 13. Aufl., Mainz 2012, Bd. 5, Art. Wohlgemuth, Gerhard, S. 442.
Links
Gerhard Wohlgemuth bei jpc (Noten und DVD)
Trauerrede auf den Tod von Gerhard Wohlgemuth von Thomas Buchholz
Materialien für den Unterricht
Das Musikinformationszentrum Zeitgenössische Musik im Musikalischen Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt hat im Jahr 2009 die zweite von vier CDs mit Einspielungen der Musik von zeitgenössischen Komponist*innen aus Sachsen-Anhalt herausgebracht. Ein ausführliches Begleitheft für den Unterricht beschäftigt sich u. a. mit Gerhard Wohlgemuth und bietet neben biografischen Informationen und einem Werkverzeichnis eine detaillierte Analyse von dessen Streichquartett Nr. 3 samt Partiturauszügen für den Unterrichtsgebrauch. Auf einer zweiten CD werden die eingespielten Werke den Analyseschritten entsprechend in einzelne Tracks unterteilt, die sich auch im Notenbild wiederfinden. Alle CDs und Begleithefte werden Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt (nähere Informationen hier).
Materialien zum Download
Powerpoint-Präsentationen:
Von der strukturellen Konzentration zur Auflösung fixierter Form, Analyse von Gerhard Wohlgemuths Streichquartett Nr. 3
Von der strukturellen Konzentration zur Auflösung fixierter Form (PDF-Datei)
Zum Hören und Mitlesen: verklanglichte Partitur mit farbig hervorgehobenen Analysebausteinen (Video hier)
Autoren: Lars Nöldner und Moritz Preuß
„Tradition und Gegenwart“ im Schaffen von Gerhard Wohlgemuth (1920-2001) am Beispiel seiner Händel-Rezeption, Autorin: Christine Klein
„Tradition und Gegenwart“ im Schaffen von Gerhard Wohlgemuth (1920-2001) am Beispiel seiner Händel-Rezeption (PDF-Datei)
SM/Kerstin Hansen 2019, letzte Aktualisierung Februar 2023