Komponist*innen

Wagner, Richard (1813–1883), in Bad Lauchstädt und Magdeburg

* 22. Mai 1813 in Leipzig, † 13. Februar 1883 in Venedig

Als der junge Richard Wagner 1834 Musikdirektor am Magdeburger Theater wurde, hatte er ein erstes theaterpraktisches Engagement als Chordirektor in Würzburg im Jahr 1833 hinter sich und war wieder nach Leipzig zurückgekehrt, wo er von 1831 bis 1833 als Student der Musik an der Universität immatrikuliert war und Kompositionsunterricht bei Thomaskantor Theodor Weinlig erhalten hatte. Nach einer Sommersaison als musikalischer Leiter in Bad Lauchstädt und kurzen Gastspielen in Rudolstadt und Bernburg verbrachte Wagner zwei Spielzeiten bis zum Frühjahr 1836 in der heutigen Hauptstadt Sachsen-Anhalts.

Porträt des jugendlichen Richard Wagner, ca. 1830

Biografisches

(Eine ausführlichere Biografie ist im Musikkoffer-Artikel Wagner, Richard (1813–1883), in Dessau zu finden.)

Bereits in Bad Lauchstädt lernte Wagner bei der Besichtigung seiner Unterkunft seine zukünftige „Hausgenossin“ und spätere erste Frau Minna Planer kennen, mit der er von 1836 an 30 Jahre mehr oder weniger unglücklich verheiratet war. Minna Planer war damals Mitglied der Bethmann’schen Schauspieltruppe, die in dem kleinen Kurort zwei Sommermonate lang gastierte. Eigentlich wollte Wagner sein Engagement zunächst gar nicht antreten, doch bereits beim ersten Anblick der als sehr hübsch und anmutig geltenden erfolgreichen Schauspielerin und „Ersten Liebhaberin” der Theatergruppe, die zudem „von beträchtlicher Ausstrahlung” (Eberlein/Hobohm 2010, S. 60) gewesen sein soll, revidierte er diese Entscheidung und dirigierte bereits wenige Tage später mit Mozarts Don Giovanni seine erste vollständige Oper.

An der Fassade des kleinen Hauses in der Bad Lauchstädter Goethestraße, in dem Richard und die vier Jahre ältere Minna einen Sommer lang lebten, erinnert heute eine Gedenktafel an die berühmten einstigen Bewohner.

Das sogenannte Wagner-Haus in der Goethestr. 14 in Bad Lauchstädt im Juni 2015

 

Erinnerungstafel für Richard Wagner am Haus Goethestraße 14, Bad Lauchstädt

 

Grund für Wagners ursprüngliches „Fluchtverhalten“ war neben den baulichen Alterserscheinungen, die das Bad Lauchstädter Theatergebäude inzwischen zeigte, vor allem Theaterdirektor Heinrich Bethmann selbst, der „stoppelbärtig“ gewesen sein soll, „dem Alkohol zugeneigt und ohne rechten Sinn für die üblichen Umgangsformen“ (Bartlick 2013). Bethmann, Gründer eines durch mittelgroße Städte tourenden Wandertheaters, war von 1834 bis 1836 als Theaterdirektor in Magdeburg engagiert. Um neben leichten Schauspielkomödien auch Opern für das anspruchsvolle Magdeburger Publikum inszenieren zu können, wollte er dort ein Opernensemble aufbauen, für das er den erst 21-jährigen Wagner als Musikdirektor verpflichtete.

Wagners Zeit als Kapellmeister im Garnisonsort Magdeburg mit etwa 60 000 Einwohnern (vgl. Goldhammer/Piontek) begann im Herbst 1834 mit einer Reihe von Opernaufführungen. Zum Jahreswechsel 1834/35 komponierte er eine Festspielmusik mit dem Titel Beim Antritt des neuen Jahres, die so gut vom Publikum aufgenommen wurde, dass es am 3. Januar eine Wiederholung in einem Konzert mit dem durchreisenden Violinisten Lafont gab. Am 10. Januar 1835 erfolgte eine Aufführung der Ouvertüre zu Wagners Oper Die Feen, die mit großem Beifall belohnt wurde. Es schlossen sich zahlreiche Operninszenierungen an, wie z. B. Der Freischütz von Carl Maria von Weber, welcher vom Theaterreferenten der Magdeburger Zeitung als „musikalisch so gut zum Vorschein gekommen, als früher nur selten einmal“ (Glasenapp 1905, S. S. 216–237) beschrieben wurde.

Der Breite Weg auf einer Ansichtskarte von 1914

 

Richard Wagner hatte zwei verschiedene Wohnungen in Magdeburg. In der Spielzeit 1834/35 wohnte er in der Margarethengasse 2, in der darauffolgenden Saison im Breiten Weg 34. Beide Häuser sind den massiven Zerstörungen Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg zum Opfer gefallen.

Aus Richard Wagners Zeit in Magdeburg sind zahlreiche Briefe an seinen Freund und ehemaligen Leipziger Schulkameraden Theodor Apel erhalten, auf dessen Gut im nahe Schkopau gelegenen Ermlitz (heute Kultur-Gut Ermlitz) er häufig verkehrte und den er wiederholt um Geld bat. Schon in jungen Jahren zeigten sich Wagners lebenslange Verschwendungssucht und Spielleidenschaft, die ihn immer wieder in die Schuldenfalle tappen ließen. An Apel, mit dem er auch die Begeisterung für die Ideale der Literaten des „Jungen Deutschland“ um Heinrich Laube teilte, schrieb er beispielsweise 1836: „Meine kleine Wohnung auf dem ›Breiten Weg‹ war mir, da ich bei jeder Heimkehr an der Türe eine gerichtliche Vorladung angenagelt fand, höchst widerwärtig geworden; ich vermied sie von nun an gänzlich …“ (aus Richard Wagners Autobiografie Mein Leben, zit. n. Eberlein/Hobohm 2010, S. 65).

Der Breite Weg im Jahr 2012

Musikhistorische Bedeutung

Richard Wagner konnte bereits in seiner Zeit in Würzburg erste Erfahrungen im Dirigieren und Einstudieren von Opern sammeln. Das kam ihm auch bei seiner Tätigkeit am Magdeburger Theater zugute, da er ja bereits in den ersten Tagen in Bad Lauchstädt komplette Opernaufführungen zu leiten hatte. An seinen Freund Theodor Apel schrieb er im Sommer 1834: „Ich habe hier furchtbare Arbeit vorgefunden, Freitag von früh 8 Uhr bis Abends 9 Uhr beständige Probe, – gestern früh Orchesterprobe und Abends Aufführung von Don Juan [= Don Giovanni], … die Aufführung ging recht gut von Statten, Donnerstag ist Maurer und Schlosser [von Daniel François Esprit Auber] …“ (zit. n. Eberlein/Hobohm 2010, S. 76).

Immer wieder berichtet Wagner in seinen Briefen an Apel von Überarbeitung, Leere, Niedergedrücktheit und daraus resultierender mangelnder Freude an der Musik. Bisweilen meldet er aber auch Erfolge, wenn beispielsweise eine Aufführung (hier: Romeo und Julia von Vincenzo Bellini) nach nur kurzer Probenzeit mit „den 2 unmusikalischesten Sängerinnen“  (ebd., S. 77) gut gegangen war und „ungemein gefallen“ hat (ebd.).

Als Musikdirektor der Oper war Wagner in Magdeburg zwar nicht für das Konzertwesen zuständig, das damals in den Händen von August Mühling lag, doch letztendlich kam er in seiner Magdeburger Zeit kaum zum eigenen Komponieren. Neben seiner Neujahrsmusik schrieb er eine an Mendelssohn Bartholdy, insbesondere an dessen Ouvertüre Meeresstille und glückliche Fahrt erinnernde Musik zu Theodor Apels historischem Drama Columbus.

Das Liebesverbot, Ouvertüre, Leipzig: Breitkopf und Härtel, ca. 1914

 

Das Hauptwerk aus Wagners Magdeburger Zeit war aber Das Liebesverbot, nach Die Feen seine zweite Opernkomposition. Er schrieb den Text, der auf William Shakespeares Schauspiel Maß für Maß zurückgeht, selbst. In Anlehnung an die freiheitlichen Ideen des „Jungen Deutschland“, dessen prominentester Vertreter Heinrich Heine war, geht es in der Oper um nichts weniger als „den Sieg der freien Sinnlichkeit über puritanische Heuchelei“ (vgl. Eberlein/Hobohm 2010, S. 86). Nach dem Fiasko der Uraufführung wurde das Werk zu Wagners Lebzeiten nicht mehr aufgeführt. 1866 schenkte er König Ludwig von Bayern die Partitur und bezeichnete in einem handschriftlichen Zusatz auf der Titelseite das Werk als eine „Jugendsünde“. Bis 1911 wurde aus Bayreuth bzw. vonseiten Cosima Wagners eine Veröffentlichung des Textes nicht erlaubt. Erst seit den 1920er-Jahren wird es, auch in Magdeburg, gelegentlich wieder aufgeführt. Dabei werden in der Kritik durchaus „meisterhafte Züge“ hervorgehoben (vgl. Eberlein/Hobohm 2010, S. 96).

Ungeachtet der schwierigen Bedingungen war die Magdeburger Zeit für den jungen Richard Wagner eine wichtige Station auf seinem Lebensweg und ein erster Schritt in die Selbstständigkeit als eigenverantwortlicher Theaterkapellmeister mit vielfältigen dirigentischen und organisatorischen Aufgaben, die er trotz seines jugendlichen Alters so gut meisterte, dass „im Theater offensichtlich gut gesungen und musiziert“ wurde (vgl. Eberlein/Hobohm 2010, S. 132).

Magdeburger Wagnerpflege

Richard Wagner. Vier Ouvertüren für Orchester, Titelblatt, Leipzig: Breitkopf und Härtel 1908

Werke

Richard Wagner, der im Rahmen seiner Magdeburger Stelle keine Kompositionsverpflichtung hatte, schrieb in seiner Magdeburger Zeit drei „mehr oder minder umfangreiche Werke“ (Eberlein/Hobohm 2010, S. 81):

  • Musik zum allegorischen Festspiel in einem Akt Beim Antritt des neuen Jahres 1835 von Wilhelm Schmale für Chor und Orchester, WWV 36
  • Ouvertüre zu Theodor Apels historischem Drama Columbus, WWV 37 A; Wagner zeichnet darin die Seefahrt von Christoph Kolumbus über den Atlantik und seine Ankunft in Amerika musikalisch nach.
  • Das Liebesverbot oder Die Novize von Palermo, Große komische Oper, Text und Musik von Richard Wagner, WWV 38

Klangbeispiele

Das Liebesverbot, Frankfurter Opern- und Museumsorchester, Chor der Oper Frankfurt, Dirigent: Sebastian Weigle

Richard Wagner, Christopher Columbus, WWV 37, MDR-Sinfonieorchester, Jun Märkl

CD-Einspielung:
Richard Wagner: Kantaten – Ouvertüren“, darunter Beim Antritt des neuen Jahres 1835, WWV 36, Bamberger Symphoniker – Bayerische Staatsphilharmonie, Chor der Bamberger Symphoniker, Friederike Wagner (Sopran), Karl-Anton Rickenbacher (Dirigent)

Noten

Das Liebesverbot in der Petrucci Music Library/IMSLP

Columbus-Ouvertüre in der Petrucci Music Library/IMSLP

Literatur

Silke Bartlick, Richard Wagner und Bad Lauchstädt, dw.com 24.01.2013, https://www.dw.com/de/richard-wagner-und-bad-lauchst%C3%A4dt/a-16532324, zuletzt abgerufen am 18.01.2022.

Astrid Eberlein, Wolf Hobohm, Wie wird man ein Genie? Richard Wagner und Magdeburg, Oschersleben 2010.

Carl Friedrich Glasenapp, Das Leben Richard Wagners in 6 Büchern, Band 1, Leipzig: 1905, online unter: http://www.zeno.org/Musik/M/Glasenapp,+Carl+Friedrich/Das+Leben+Richard+Wagners/Erster+Band.

Links

Richard-Wagner-Verband International e. V., Bad Lauchstädt / Magdeburg

Richard-Wagner-Verband Magdeburg e. V.

Richard Wagner und Bad Lauchstädt

Richard Wagner in Sachsen-Anhalt, Richard-Wagner-Zentrum Mitteldeutschland e. V.

Als erste Rarität zum Wagner-Jahr eine Komposition mit Fragezeichen: Richard Wagners „Beim Antritt des Neuen Jahres“ in Würzburg, von Peter P. Pachl, nmz online 05.01.2013

Anregungen für den Unterricht

  • Wagners Columbus-Ouvertüre als Beispiel für Programmmusik: programmatischer „Inhalt“, tonmalerische Aspekte (Bearbeitung unter Verwendung des Quellentextes, s. u.)
  • Entstehung der Ouvertüre im Kontext von Wagners Biografie
  • Vergleich der Columbus-Ouvertüre mit Mendelssohns Ouvertüre Meeresstille und glückliche Fahrt op. 27

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Quellentext (PDF):

Richard Wagners Äußerungen über seine Columbus-Ouvertüre  (Zitat aus Richard Wagners Autobiografie Mein Leben)

SM/Mareike Ratzeburg 2021

Teile des Beitrags entstanden im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2020 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.