Komponist*innen

Tokayer, Alfred (1900–1943)

* 21. März 1900 in Köthen, † Ende März 1943 im KZ Sobibor, Polen

Alfred Tokayer, undatiertes Foto

Biografie

Der Komponist, Dirigent und Pianist Alfred Tokayer wurde am 21. März 1900 in Köthen als Sohn jüdischer Einwanderer aus dem im heutigen Rumänien liegenden Bistritz (Siebenbürgen) geboren. Seine Eltern betrieben über 30 Jahre lang ein Schuhgeschäft in Köthen unter dem Namen „Schuhhaus Tokayer“, ab 1912 am Buttermarkt 9.

Ersten Musikunterricht erhielt Tokayer in seiner Heimatstadt. Ab dem Studienjahr 1919/20 besuchte er das Hoch’sche Konservatorium in Frankfurt, wo zahlreiche bedeutende Musikerpersönlichkeiten seiner Zeit ausgebildet wurden, u. a. Hans Pfitzner, Paul Hindemith, Ernst Toch und Otto Klemperer. Er studierte dort Klavier, Kammermusik, Orchestrierung und Komposition. Seine bereits ein Jahr zuvor in Berlin begonnen Studien in Philosophie und Wirtschaft setzte er fort (vgl. Amaury du Closel, http://www.musiques-regenerees.fr/GhettosCamps/Camps/TokayerAlfredNotice.html).

Im Jahr 1924 erhielt Alfred Tokayer sein erstes Engagement als Kapellmeister an der Oper Bremen, wo er bis 1930 beschäftigt war. Er dirigierte dort vorwiegend Werke der leichten Muse und Operetten. Im Jahr 1927 heiratete er die nicht-jüdische Sängerin Lucie Rena. Beide gingen 1931 nach Berlin an die Volksoper, wo Tokayer u. a. mit Max Reinhardt, dem Operettenkomponisten Oscar Strauss und dem Filmkomponisten Theo Mackeben zusammenarbeitete. Dort war er auch Stimmtrainer der bekannten Schauspielerin Käthe Dorsch. Zudem orchestrierte er Operetten, insbesondere von Eduard Künneke.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurde für Alfrd Tokayer und seine Eltern ein Leben als Juden in Deutschland zunehmend schwieriger. Nachdem sie sowohl ihre erst 1919 erhaltene deutsche Staatsbürgerschaft als auch Ende 1935 ihr Geschäft verloren hatten, emigrierten Moritz und Gertrud Tokayer nach Jugoslawien, Alfred floh nach Frankreich.

Köthen 2007: Blick vom Springbrunnen in der Schalaunischen Straße Richtung Buttermarkt/Markt, im Hintergrund die Jakobskirche

Musikalische Bedeutung / Werke

Das musikalische Werk Alfred Tokayers wurde von dem französischen Dirigenten Amaury du Closel und dem Ensemble „Orchestre de chambre de Roumanie“  im Jahr 2007 in Bukarest erstmalig eingespielt (CD-Hinweis s. u.). Die Aufnahme umfasst 20 Titel, wobei nicht bekannt ist, ob es sich dabei tatsächlich um das gesamte kompositorische Œuvre Tokayers handelt. Darunter sind reine Instrumentalkompositionen (u. a. La Petite Musique pour le clavecin et cordes, Cantique de Sathonay, 2 marches pour piano à 4 mains), zahlreiche Lieder mit Klavier sowie Kompositionen für Gesang und Orchester (Une journée de mon enfant, Arrière été).

Der größte Teil seiner Kompositionen entstand vermutlich während der Zeit des Exils. Lediglich Das Lied vom Wein wurde vorher komponiert. Die meisten der Werke stammen aus der Zeit vor 1939 und sind bei der belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM registriert. Darunter sind auch die drei zentralen Melodien, die der Symphonischen Suite Une journée de mon enfant zugrunde liegen. Die Suite selbst, die aus dem Jahr 1936 stammt, ist hingegen nicht im Verzeichnis zu finden (vgl. du Closel, s. u. Literatur).

Etwa seit dem Jahr 2008 wird in seiner Heimatstadt Köthen zunehmend an das Schicksal Alfred Tokayers und seiner jüdischen Leidensgenossen erinnert und seine Musik der Vergessenheit entrissen. Das französische Ensemble “Voix Etuffeés” (Verstummte Stimmen) unter der Leitung von Amaury du Closel spielte zum 70. Jahrestag der sogenannten “Reichskristallnacht” im Jahr 2008 Musik von Alfred Tokayer im Bach-Saal des Schlosses, 2010 wurden vor dem Haus Buttermarkt 9 drei Stolpersteine für ihn und seine Eltern verlegt. In den letzten Jahren waren es zunehmend die beiden jungen Künstlerinnen Derya Atakan (Sopran) und Nina Gurol (Klavier), die sich der Lieder von Alfred Tokayer annahmen und diese in mehreren Konzerten aufführten. Das Veranstaltungszentrum Köthen bot im März 2022 im Rahmen des Projektes „Neue Kulturen des Miteinanders – Ein Schloss als Schlüssel zur Region“, gefördert im Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ der Kulturstiftung des Bundes (s. https://www.schlossbund.de/), eine von Stadtarchivarin Monika Knof geführte Erkundung Köthens auf den Spuren von Alfred Tokayer an, die mit einer abendlichen Aufführung seiner Lieder ihren Abschluss fand.

Klangbeispiele

Une journée de mon enfant: I., Alfred Tokayer (Œuvres complètes), Orchestre de chambre de Roumanie, Amaury du Closel, Elsa Lévy, Anima-Records

Prière sans paroles, pour violon et piano, Alfred Tokayer (Œuvres complètes), Cécile Peyrol, Bertrand Giraud, Anima-Records

In Erinnerung an Alfred Tokayer: Erkundung und Konzert, live übertragen am 24.03.2022 vom Veranstaltungszentrum Köthen im Rahmen des Projektes „Neue Kulturen des Miteinanders – Ein Schloss als Schlüssel zur Region“, gefördert im Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“ der Kulturstiftung des Bundes

CD:
Alfred Tokayer – Œuvres complètes, Amaury du Closel, Orchestre de chambre de Roumanie, Anima-Records 2007

Literatur

Amaury du Closel, ALFRED TOKAYER: UN COMPOSITEUR DANS LA TOURMENTE, http://www.musiques-regenerees.fr/GhettosCamps/Camps/TokayerAlfredNotice.html, abgerufen am 15.05.2022.

Johannes Killyen, Vergessener Sohn Köthens, Mitteldeutsche Zeitung, Kultur & Leben, Wochenende 26./27. März 2022.

Links

Alfred Tokayer | Wo gehst du hin mein Herz, Dokumentarfilm: Monika Knof (Köthener Stadtarchivarin), Derya Atakan (Sopran), Nina Gurol (Klavier)

Fünf Schaufenster in Köthener Innenstadt erzählen über vertriebene jüdische Händler in der Stadt, von Karl Ebert, Mitteldeutsche Zeitung, 04.10.2021,

Die viele Musik und die leckeren Cremeschnittchen, von Lothar Gens, Mitteldeutsche Zeitung, 23.10.2008

Stolpersteine halten Erinnerung lebendig, von Matthias Bartl, Mitteldeutsche Zeitung, 28.10.2010

Konzerte: Ensemble bewahrt die Erinnerung

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

SM 2022