Komponist*innen

Stojantschew, Stojan (1931–2015)

* 1931 in Sofia (Bulgarien), † 20. Februar 2015 in Magdeburg

Biografie

Stojan Stojantschew wurde 1931 in Sofia geboren. Bereits m Alter von fünf Jahren erhielt er Klavierunterricht, der durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen wurde. Es begannen erste Kompositionsversuche. Nach Kriegsende fand der Unterricht seine Fortsetzung und es kam als weiteres Instrument die Flöte hinzu. Während der Gymnasialzeit war Stojantschew Flötist im Orchester seiner Schule und komponierte erste kleine Stücke für dieses Ensemble.
Trotz seines Interesses für die Musik studierte er zunächst Veterinärmedizin und promovierte auch in diesem Fach. Anschließend war er als Tierarzt in einem kleinen Ort in der Nähe von Varna tätig. Nebenberuflich verpflichtete er sich dort als zweiter Flötist.
1956 begann er seine Tätigkeit als musikalischer Leiter des Puppentheaters in Sofia. Zu seinen dortigen Aufgaben gehörten auch Kompositionen. 1960 nahm er daraufhin ein Fernstudium an der Hochschule für Musik in Sofia auf und schloss dieses 1965 mit Auszeichnung ab. Erste Aufträge erhielt er auch von anderen Theatern und vom bulgarischen Fernsehen.
Auf der Grundlage eines Staatsvertrages kam Stojantschew 1966 als musikalischer Leiter und Komponist an das Magdeburger Puppentheater. 1976 war er Mitbegründer des 1. Festivals der Puppentheater der DDR. Er komponierte über 100 Bühnenmusiken für fast alle Puppentheater der damaligen DDR und eine Reihe von Schauspielhäusern.
1971 wurde er Mitglied im Verband der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR. 1977 erhielt Stojantschew für seine künstlerische Tätigkeit vom Rat der Stadt Magdeburg den Erich-Weinert-Preis. Von 1974 bis 1979 besuchte er die Meisterklasse im Fach Komposition bei Prof. Cilenšek an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar.
Seit Ende 1978 arbeitete Stojantschew als freischaffender Komponist in Magdeburg und war von 1983 bis 1990 Lehrer für Tonsatz an der Außenstelle der Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“. Von 1991 bis 1996 lehrte er Theorie und Tonsatz am Institut für Musik, zunächst an der Pädagogischen Hochschule und später an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg. Außerdem betreute er von 1986 bis 1995 die Komponistenklasse der damaligen Bezirksmusikschule bzw. des heutigen Konservatoriums „Georg Philipp Telemann“, die seit 1976 unter wechselnder Leitung (Klaus-Dieter Kopf, Stojan Stojantschew, Dieter Nathow, Bernhard Schneyer) auch heute noch fortbesteht, seit 2008 unter dem Namen Komponistenklasse Sachsen-Anhalt.

1985 rief Stojantschew gemeinsam mit dem Leiter des Hauses der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft die Reihe „Konzerte der Freundschaft“ ins Leben. Er gilt zudem als Hauptinitiator des im Jahr 1991 gegründeten Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Deutschen Tonkünstlerverbandes und war einige Jahre dessen stellvertretender Vorsitzender.

Stojan Stojantschew verbrachte seinen Ruhestand in Magdeburg, wo er am 20. Februar 2015 starb.

Musik

Stojan Stojantschew lebte und wirkte fast fünfzig Jahre lang in Magdeburg und hinterließ seine Spuren im kulturellen Leben der Stadt. Bis zum Ende der 1970er-Jahre komponierte er überwiegend für das Puppentheater. Mit dem Besuch der Komponistenklasse an der Weimarer Musikhochschule eröffneten sich ihm dann aber auch weitere Genres wie Orchester-, Kammer- und Vokalmusik.

Die Magdeburger Musikwissenschaftlerin Sigrid Hansen, die in Stojantschews Todesjahr  einen Nachruf auf den Künstler veröffentlichte, fasst sein musikalisches Wirken wie folgt zusammen:
„Sein Stil ist von Komponisten wie Lutoslawski, Penderecki, Zygmunt Krauze, Bartók und Debussy beeinflusst, die er als seine Vorbilder benannte. Zudem spielte aus seiner Heimat Pantscho Wladigerow (1899–1978) eine wesentliche Rolle für ihn. In den meisten Kompositionen Stojantschews findet man eine eigene aleatorische Spielart, deren Organisationsprinzipien an Lutoslawski erinnern, deren Behandlung der Instrumentengruppen in ihren spezifischen Spielweisen auf Penderecki zurückzuführen ist. Bulgarische Rhythmen, die zumeist auf unregelmäßigen Taktarten beruhen, verwandeln sich oft in kombinierte Takte im Bartók’schen Sinn. Ungewöhnliche Instrumentenzusammensetzungen sind für den Komponisten teilweise Experiment. Man findet in den Werken Neues und Tradition, was seiner Meinung nach für eine bessere Rezeption beim Hörer sorgt. Durch den Einfluss der impressionistischen Musik und die Puppentheaterpraxis ist sein Streben nach farbig-musikalischer Sprache und sein Hang zur Programmatik begründbar.“ (Hansen 2015)

Wichtig sind für Stojantschew die Flötengriffe nach dem italienischen Komponisten Bruno Bartolozzi (1911–1980), der als Komponist der Zwölftontechnik verpflichtet war und sich mit neuen technischen Klangmöglichkeiten der Holzblasinstrumente befasste. Bei diesen sogenannten Mehrklanggriffen ist es für Instrumente wie Flöte, Oboe, Klarinette und Fagott möglich, bis zu einer gewissen Grenze auch Akkorde hervorzubringen. Derartige Griffe finden sich in fast allen Flötenkompositionen Stojantschews sowie in seinem Bläserquintett Nr. 1. Auch verschiedene Arten von Trillern basieren auf Griffen von Bartoluzzi.

Stojantschews Telemannvariationen und –inspirationen für Orchester op. 29 waren ein Auftragswerk des Rates des Bezirkes Magdeburg, des Zentrums für Telemann-Pflege und Forschung sowie des Arbeitskreises „Georg Philipp Telemann“ im Kulturbund der DDR aus dem Wendejahr 1989. Sie verbinden in einer Dreiteiligkeit klanglich traditionell gehaltene Variationen über den siebten der zwölf dreistimmigen Vokalkanons von Georg Philipp Telemann (1. Teil und 3. Teil/Reprise) mit neuen, kontrastierenden  musikalischen Gedanken im Mittelteil („Inspirationen“).

Telemannvariationen und -inspirationen für Orchester op. 29, Schluss

Werke

Stojan Stojantschek komponierte zahlreiche Bühnenmusiken, Orchester- und Vokalmusik, Kammermusik in den verschiedensten, auch ungewöhnlichen Bestzungen sowie Stücke für Soloinstrumente (Auswahl s. u.).

Kammermusik Ensemble:
Trio für Flöteninstrumente, Schlaginstrumente und Gitarre, 1977 (UA 1978)
Streichquartett in einem Satz, 1979 (UA 1980)
24 Flötenstücke für Kinder in verschiedener Besetzung, 1979/80
Konversationen I und II für Flöte, Oboe, Viola und Violoncello, 1980 (UA 1980)
Sonatine für Sopranblockflöte und Klavier, 1981 (UA 1982)

Klangbeispiel

Stojan Stojantschew, Telemannvariationen und –inspirationen für Orchester op. 29Mitteldeutsche Kammerphilharmonie, Dirigent: Christian Simonis, zu finden auf der CD Komponisten aus Sachsen-Anhalt Vol. 1, hrsg. vom Musikalischen Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt 2007

Literatur

Sigrid Hansen, Er hat Spuren hinterlassen. Nachruf für Stojan Stojantschew, in: neue musikzeitung (nmz) 6/2015, 64. Jahrgang, https://www.nmz.de/artikel/er-hat-spuren-hinterlassen.

Musikalisches Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt / Musikinformationszentrum Zeitgenössische Musik / Kerstin Hansen (Hrsg.), Komponisten aus Sachsen-Anhalt Vol. 1, München 2007 (= Gedanken zur Musik. Eine Schriftenreihe zum Musikleben in Sachsen-Anhalt, Heft 4).

Materialien für den Unterricht

Das Musikinformationszentrum Zeitgenössische Musik im Musikalischen Kompetenzzentrum Sachsen-Anhalt  hat im Jahr 2007 die erste von vier CDs mit Einspielungen der Musik von zeitgenössischen Komponist*innen aus Sachsen-Anhalt herausgebracht. Ein ausführliches Begleitheft für den Unterricht beschäftigt sich u. a. mit Stojan Stojantschew und bietet neben biografischen Informationen und Auszügen aus einem Interview mit dem Komponisten detaillierte Handreichungen zu dessen Telemannvariationen und –inspirationen für Orchester aus dem Jahr 1989 samt Partiturauszügen für den Unterrichtsgebrauch. Auf einer zweiten CD werden die eingespielten Werke den Analyseschritten entsprechend in einzelne Tracks unterteilt, die sich auch im Notenbild wiederfinden. Alle CDs und Begleithefte werden Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt (nähere Informationen hier).

SM/Kerstin Hansen 2019