Komponist*innen

Rolle, Johann Heinrich (1716–1785)

* 23. Dezember 1716 in Quedlinburg, † 29. Dezember 1785 in Magdeburg

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Johann Heinrich Rolle

Biografie

Johann Heinrich Rolle wurde am 23. Dezember 1716 in Quedlinburg geboren und gehört somit zu den regionalen Jubilaren des Jahres 2016 (300. Geburtstag). Sein Vater war zunächst Musikdirektor in Quedlinburg, wurde aber im Jahr 1721 nach Magdeburg in dieselbe Position berufen. Seine erste musikalische Ausbildung erhielt der junge Rolle beim Vater. Bereits 1734 wurde er Organist an der Magdeburger Petrikirche. Trotz seiner musikalischen Begabung studierte er zunächst an der Universität Leipzig Philosophie und Jurisprudenz. Von 1741 bis 1746 legte er ein berufliches Intermezzo in Berlin ein, wohin er umgezogen war, um ein Amt als Justitiar anzutreten (so schreibt Rolle in seiner Autobiografie von 1783). Er arbeitete aber dann doch als „professioneller“ Musiker – als Geiger, später als Bratschist in der Hofkapelle von König Friedrich II. In dieser Zeit hatte Rolle Kontakt zu bedeutenden Musikern seiner Zeit wie Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Joachim Quantz sowie den Brüdern Graun und Benda. Von Berlin kehrte er nach Magdeburg zurück, wo er zunächst Organist an der Johanniskirche wurde und 1752 das Amt seines verstorbenen Vaters als städtischer Musikdirektor übernahm. Er war als Kantor verantwortlich für die musikalische Unterweisung der Schüler des Altstädtischen Gymnasiums und musste zudem die Musik in den sechs Magdeburger Stadtkirchen dirigieren. Seine Aufgabe war es außerdem, neue Werke zu komponieren und mit den Schülern einzustudieren.

Ab dem Jahr 1764 wurde Johann Heinrich Rolle zum wichtigsten Konzertveranstalter der Stadt Magdeburg und war wegweisend für die Begründung öffentlicher bürgerlicher Konzertreihen, die er über zwanzig Jahre lang , immer in den Wintermonaten, vorwiegend mit eigenen Kompositionen bestückte. Die 12–16 Konzerte pro Saison fanden im Saal des Seidenkramer-Innungshauses statt und waren hervorgegangen aus privaten Musizierveranstaltungen kunstinteressierter Bürger. Ausführende – vorwiegend musikalische Laien – und Publikum gehörten demselben bürgerlichen Stand an, was eine Identifikation des zahlenden Publikums mit den Konzerten beförderte.

Rolle starb im Jahr 29. Dezember 1785 nach zwei Schlaganfällen.

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Das Seidenkramer-Innungshaus am Alten Markt Nr.5

Musikhistorische Bedeutung

Rolles kompositorische Verdienste liegen vorrangig auf dem Gebiet der Vokalmusik. Mit seinen „Musikalischen Dramen“ – eine Bezeichnung, die unter Rolles Zeitgenossen für einen Großteil von dessen Chorwerken verbreitet war – hat er eine musikalische Mischform hervorgebracht, die zwischen Oratorium und Oper anzusiedeln ist. Er komponierte zahlreiche dieser geistlichen Werke für den Konzertsaal und brachte sie über Jahre vor einem begeisterten Publikum in seinen Konzertreihen zur Aufführung. Sie entsprachen genau dem damaligen bürgerlichen Ideal der Empfindsamkeit (empfindsamer Stil in der Musik). Rolle arbeitet dabei mit Deklamation und Tonmalerei bis hin zur Einzelwortausdeutung in teils durchkomponierten dramatischen „Szenen“, die allerdings nicht szenisch aufgeführt wurden (es gab aber dennoch szenische Anweisungen in den Partituren). Als Textdichter der durchweg religiösen Stoffe taten sich vor allem sein Freund, der Pfarrer und Dichter Johann Samuel Patzke, und der hallesche Theologieprofessor August Hermann Niemeyer hervor. Die Werke waren nicht allzu schwer musikalisch zu realisieren, zumal Rolle ab 1771 Klavierauszüge bei Breitkopf herausgab, die bereits vor Erscheinen zahlreiche Subskribenten aus dem damaligen städtischen Bürgertum fanden. Rolles Kompositionen waren in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts ein ausgesprochen populäres „Erfolgsmodell“ (Waczkat 2007, S. 1) – Rolle galt sogar als „Lieblingscomponist der Nation“ (Carl Wilhelm Brumbey, Quedlinburg 1781, in: Waczkat 2007, S. 6) – , gerieten aber bereits zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Renaissance der Oratorien Bachs und Händels in Vergessenheit.

Zwei Werke Rolles, das Musikalische Drama Lazarus oder die Feier der Auferstehung und die Kantate Gott fähret auf mit Jauchzen, finden sich in der historischen Musikaliensammlung der Stadtkirche St. Marien in Weißenfels, die heute Teil der Sammlungen im Heinrich-Schütz-Haus in Weißenfels ist. Somit ist davon auszugehen, dass die Werke zum Repertoire der Marienkirche gehörten.

Der Tod Abels
Historische Notenausgabe – Titelblatt

Werke

Rolle schrieb – wohl auch aufgrund der Erfordernisse seiner Stellung – zahlreiche Werke für den kirchlichen Gebrauch mit und für Chor (Motetten, Kantaten, Oratorien) und, hauptsächlich für seine bürgerlichen Konzertreihen, die Musikalischen Dramen. Außerdem komponierte er Instrumentalstücke, von denen einige, wie beispielsweise die Klaviersonate Es-Dur, im Notendruck vorliegen.

Zu den Chorwerken gehören u. a. die Musikalischen Dramen Die Opferung Isaacs (1741–1746?), Der Tod Abels (1769), Die Befreiung Israels (1774), Jakobs Ankunft in Ägypten (1775), Abraham auf Moria (1776), Thirza und ihre Söhne (1779). Außerdem schrieb Rolle mehrere Passionsmusiken und ein Oratorium auf Weihnachten (1776).

Das zu Zeiten Rolles am weitesten verbreitete Musikalische Drama ist Der Tod Abels nach einem Text von Patzke. Thema ist hier der biblische Brudermord. Dieses Werk liegt, ebenso wie Thirza und ihre Söhne, auf CD vor (Einspielung hier) und kann als beispielhaft für die spezifische Kompositionsweise der Musikalischen Dramen Rolles gelten.

Rolles Weihnachtsoratorium (CD-Einspielung mit Kammerchor und Telemann-Kammerorchester Michaelstein) unterscheidet sich durch die Einführung mehrerer allegorischer Figuren wie Glaube, Andacht, Freude und Vertrauen und deren gefühlvolle Ausdeutung der Situation um Jesu Geburt deutlich von dem Bach’schen Pendant. Der Textdichter ist unbekannt, lyrisch-betrachtende Teile und dramatische Szenen finden sich im Wechsel.

Klangbeispiele

J.H.Rolle: Ach! Ach! Dass du den Himmel zerrissest, Chor und Rezitative aus dem Oratorium auf Weihnachten, Kammerchor Michaelstein unter Ludger Rémy

Rolles Motette Schaff’ in mir Gott ein reines Herz, Ensemble ProCant (Ltg.: Stephan Diedrich), Ausschnitt aus der Musikalischen Abendandacht in St. Michael, Göttingen, am 20.02.2010

Noten zum Download

Johann Heinrich Rolle, Gesammelte Motetten, Heft 1, Quelle: SLUB Dresden

Eine Reihe von Werken Rolles, u. a. auch einige der Musikalischen Dramen (z. B. Der Tod Abels), finden sich online in der Petrucci Music Library und dürfen hier kostenlos heruntergeladen werden.

Literatur

Brit Reipsch, “Originalität und Durchschnitt – Johann Heinrich Rolle und das bürgerliche Konzert in Magdeburg”, in: Bürgerliches Musizieren im mitteldeutschen Raum des 18. Jahrhunderts (= Beiträge zur Regional- und Landeskultur Sachsen-Anhalts 53), hrsg. von Kathrin Eberl-Ruf, Carsten Lange, Annette Schneider, Halle (Saale) 2010, S. 87–107.

Ralph-Jürgen Reipsch/Andreas Waczkat, Art. „Rolle“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearb. Ausgabe, hrsg. Von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 14, Kassel u. a. 2005, Sp. 301–308.

Andreas Waczkat, “Johann Heinrich Rolles musikalische Dramen: Theorie, Werkbestand und Überlieferung einer Gattung im Kontext bürgerlicher Empfindsamkeit”, in: Schriften zur mitteldeutschen Musikgeschichte, Bd. 15, Beeskow 2007 (zugl.: Universität Rostock, Habilitationsschrift, 2005).

Anregungen für den Unterricht

Vergleich der Weihnachtsoratorien von Bach und Rolle

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Informationen für Lehrer*innen:

Johann Heinrich Rolle im heutigen Stadtbild von Magdeburg (mit Anregungen für mögliche Schülerprojekte)

SM 2017