Komponist*innen

Listenius, Nikolaus (um 1510 geb.)

* um 1510 in Hamburg

Biografie

Über die genauen Lebensdaten von Nikolaus Listenius ist nur wenig bekannt, man kann allerdings sein Geburtsjahr auf ungefähr 1510 festlegen. Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass er ab 1529 an der Universität in Wittenberg studiert hat, wo er schon zwei Jahre später zum „Magister artium“ promoviert wurde. Nachdem er in seiner Studienzeit schon an einer Neugestaltung des Kirchen- und Schulwesens mitgewirkt hatte, brach er schließlich nach Salzwedel auf, wo er ca. 1535 die Stelle des Kantors an der Stadtschule übernahm. Er versuchte dort die Kirchenmusik lutherisch zu reformieren, entgegen dem noch existierenden Verbot des Kurfürsten Joachim I., eines Gegners der Reformation. Erst mit dem Übertritt des nachfolgenden Kurfürsten Joachim II. zur Reformation (1539) wurde Listenius’ Stellung einfacher. Über den Tod und mögliche Nachkommen von Listenius lassen sich aufgrund fehlender Quellen keine Aussagen treffen. 

Musikhistorische Bedeutung

Listenius’ Bedeutung für die damalige Zeit gründet ganz und gar auf seinem 1533 erschienenen Traktat Rudimenta musicae: Das Werk wurde in dieser und in der 1537 überarbeiteten Fassung Musica Nicolai Listenii, ab authore denuo recognita, multisque novis regulis et exemplis adaucta in mehr als 50 Auflagen herausgegeben. In Städten wie Berlin, Nürnberg und Leipzig etablierte sich das Buch als grundlegende Lektüre für den Unterricht. Dabei wurde für die Mittelstufe das Compendiolum Musicae von Heinrich Faber benutzt, für höhere Klassenstufen dann die Musica von Listenius. Über Mitteldeutschland hinaus verbreitete sich das Buch im 16. Jahrhundert auch an den Lateinschulen in Pommern, Württemberg und Österreich.

Die Musica ist eine allgemeine Musiklehre, die sich an den Vorbildern von Georg Rhau und Martin Agricola orientiert. Ausgangspunkt für Listenius ist seine Einteilung des Musikbegriffs in „musica theoretica“ (Musiklehre), „musica practica“ (Musikausübung) und „musica poetica“ (Kompositionslehre). Hierbei meint der Terminus „musica poetica“ entgegen einem in der Musikwissenschaft des 20. Jahrhunderts verbreiteten Missverständnis jedoch noch nicht das kompositorische Werk im Sinne des „opus perfectum et absolutum“, sondern zielt vielmehr auf das musikalische Herstellen überhaupt.

Listenius behandelt in seiner Musica vorwiegend die Gegenstände der musica choralis (einstimmige Musik) und der musica mensuralis (mehrstimmige Musik), nicht aber Kontrapunkt und Kompositionslehre. Besonderen Wert legte er auf die praktische Darstellung seiner formulierten „praecepta“ (Regeln), indem er jedem Abschnitt mehrere Kanons und andere Beispiele beifügte. Generell war er darum bemüht, für jedes Kapitel eine möglichst sinnvolle pädagogische Herangehensweise zu finden. In den Schulen wurden die „praecepta“ gemeinsam gelesen, der Lehrer gab Erklärungen und schloss Übungen für die Schüler an, um schließlich zum „usus“, dem praktischen Gebrauch, zu gelangen. Listenius wandte sich besonders der Mensuralmusik zu, denn sie sei schwieriger und verwickelter, aber auch schöner als die Choralmusik (Schünemann 1927, S. XXIV). Listenius geht dabei in streng pädagogischem Aufbau vor, indem er erst Notenform und Notenwerte erklärt, sodann Pausen, Tempus und Modus u. a. sowie Übungen mit Kanonbeispielen folgen lässt. Danach schließt er Kapitel zu Augmentation (Vergrößerung) und Diminution (Verkleinerung) der Notenwerte an. Er schließt den Lehrgang, wie auch schon sein Vorgänger Rhau, mit Synkopierungen und Proportionen ab.

Der Erfolg des Buches erklärt sich durch die Prägnanz und den leicht verständlichen Ausdruck von Listenius’ Regeln. Er verbindet musikalische Theorie unmittelbar mit nachvollziehbaren Beispielen und hinterlässt dadurch ein Lehrwerk, das die musikalische Landschaft im 16. Jahrhundert beispielgebend geprägt hat: „Dem Unterricht aber hat Listenius mit seiner Musica über ein Menschenalter Richtung und Ziel gegeben. Er hat an seinem Teil entscheidend mitgearbeitet an der Sicherung der deutschen Musikkultur und Musikerziehung.“ (Schünemann 1927, S. XXV)

Ein Auszug aus Listenius’ „Musica“: Das Werk wurde, wie für Lateinschulen typisch, vollständig in Latein verfasst. Listenius verwendete bei seinen Erklärungen immer sehr viele Kanons, um das theoretische Wissen verständlicher zu machen.

Werke

Rudimenta musicae in gratiam studiosae juventutis diligenter comportata (1533, Wittenberg)

Musica Nicolai Listenii, ab authore denuo recognita, multisque novis regulis et exemplis adaucta   (1537, Wittenberg)

Titelblatt der “Musica”

Literatur

Heinz von Loesch, Art. „Listenius, Nikolaus“, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2., neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil, Bd. 11, Kassel u. a. 2004, Sp. 202–203.

Georg Schünemann, „Einführung“ zu: Musica Nicolai Listenii. Ab authore denuo recognita multisque novis regulis et exemplis adaucta, Faks.-Nachdr. der Ausg. Nürnberg 1549, unter Mitwirkung von Paul Hirsch hrsg. von Johannes Wolf, Berlin 1927.

Link

Die Musica von Nikolaus Listenius in der Petrucci Music Library zum Download

Anregungen für den Unterricht

“Schulbücher” im 16. Jahrhundert am Beispiel von Martin Agricola und Nikolaus Listenius im Vergleich mit heutigen Schulbüchern

Marius Renell 2017

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2017 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.