Komponist*innen

Keiser, Reinhard (get. 1674–1739)

getauft 12. Januar 1674 in Teuchern, † 12. September 1739 in Hamburg

Biografie

Wann Reinhard Keiser (auch italianisiert Rinardo Cesare) genau geboren ist, ist nicht überliefert. Belegt ist, dass Keiser am 12. Januar 1674 in Teuchern bei Weißenfels getauft wurde (sein Geburtsdatum liegt also wohl kurz davor). Seine Mutter Agnes Dorothee Keiser ist öffentlich kaum in Erscheinung getreten. Reinhard Keisers Vater Gottfried war ebenfalls als Musiker aktiv, zuletzt in Teuchern, wo er wohl eine Stelle als Organist innehatte. Er wurde von Zeitgenossen auch als Komponist geschätzt, allerdings sind seine Werke bis auf zwei Ausnahmen heute nicht mehr erhalten. Schon ein oder zwei Jahre nach der Geburt seines Sohnes verließ der Vater Teuchern, wo er seine Familie vermutlich zurückließ, sodass Reinhard Keiser wohl allein bei seiner Mutter aufwuchs.

Das heutige Haus Markt 9 in Teuchern (mit Reinhard-Keiser-Gedenktafel), an dessen Stelle sich einst das Geburtshaus des Komponisten  befand

 

Über Keisers frühe musikalische Bildung ist nichts bekannt. Man weiß jedoch, dass er im Alter von 11 Jahren auf die Leipziger Thomasschule geschickt wurde, die vor allem als spätere Wirkungsstätte von Johann Sebastian Bach und durch den bis heute bestehenden Thomanerchor berühmt wurde. Dort erhielt Keiser eine umfassende musikalische Grundausbildung, er gilt aber im Hinblick auf seine kompositorischen Fähigkeiten weitgehend als Autodidakt. Möglicherweise besuchte Keiser anschließend die Leipziger Universität, wie der Hamburger Komponist und Zeitgenosse Keisers, Johann Mattheson, behauptet – wir wissen es jedoch bis heute nicht, da ein entsprechender Eintrag in den Archiven der Universität fehlt.

Dagegen steht fest, dass Keiser 1693 (oder spätestens ab 1694 im Alter von 20 Jahren) beim Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel eine Stelle als Komponist und Kapellmeister antrat. Dieser Schritt stellte für Keiser einen großen Karrieresprung dar, denn das kurz zuvor erbaute herzogliche Braunschweiger Opernhaus am Hagenmarkt war nach München und Hamburg erst das dritte, das für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich war. So wurde es schnell überregional bedeutsam. In Braunschweig wurde auch Keisers wohl erste Oper Basilius in Arkadien uraufgeführt.

Das Braunschweiger Opernhaus am Hagenmarkt (helles Gebäude in der Mitte) auf einem Gemälde von Jacques Carabain

 

Schon wenig später, im Jahre 1697, wechselte Keiser an die Hamburger Gänsemarktoper, ebenfalls als Kapellmeister. Dort entstanden fast 70 Opern, von denen heute noch 19 erhalten sind, sowie zahlreiche Kantaten und weitere groß besetzte Gelegenheitswerke.

Entwurf zu einem Bühnenbild: Der geliebte Adonis, Hamburg 1697, von Johann Oswald Harms

 

In Keisers Zeit als Hamburger Kapellmeister wirkten viele Musiker in seinem Umfeld, die mit zu den bedeutendsten ihrer Zeit zählten. Allen voran der aus Halle stammende Georg Friedrich Händel. Er spielte unter Keiser Geige und Cembalo im Opernorchester und brachte hier auch seine erste Oper Almira zur Aufführung. Dem gleichen Stoff hatte sich auch Keiser selbst gerade gewidmet und seine Almira 1704 in Hamburg und Weißenfels aufgeführt. Man stellt fest, dass Keiser an der Oper eine herausragende Position einnahm. Andere Komponisten (wie u. a. Händel mit Almira) kamen hauptsächlich dann zum Zuge, wenn Keiser abwesend war oder zu viel zu tun hatte. Die Legende, dass Keiser und Händel wegen ihrer Konkurrenzsituation ein angespanntes persönliches Verhältnis gehabt haben sollen, ist dennoch nicht zu belegen. Neben Händel war auch Johann Christian Schief(f)erdecker, übrigens ebenfalls aus Teuchern stammend, als Cembalist in Keisers Orchester aktiv, bevor er 1706 nach Lübeck ging; weiterhin auch Christoph Graupner und Johann Mattheson.

Druckausgabe (1706) von Arien aus Keisers Opern Almira und Octavia. Titelblatt und Notenbeispiel

 

Im Jahr 1712 heiratete Keiser Barbara Oldenburg. Als 1718 die Oper in finanzielle Schwierigkeiten geriet und der Bankrott drohte, verließ Keiser Hamburg, um sich eine neue Stelle zu suchen. Eine Zeit lang lebte und wirkte er in Stuttgart, fand dort allerdings keine feste Anstellung, sodass er schon 1721 nach Hamburg zurückkehrte. Zwei Jahre wirkte er daraufhin als Königlich-Dänischer Kapellmeister in Kopenhagen mit regelmäßigen Besuchen in Hamburg, bevor er sich 1723 wieder dauerhaft an der Elbe niederließ.

Die wichtigsten musikalischen Stellen der Stadt waren jedoch schon besetzt. Der oben schon erwähnte Johann Mattheson hatte den Posten als Domkantor inne, während der kürzlich zugezogene gebürtige Magdeburger Georg Philipp Telemann das Amt des Johanneskantors und städtischen Musikdirektors bekleidete. Keiser war in dieser Zeit nur Stellvertreter des Opernkapellmeisters, war aber dennoch so produktiv, dass er gemeinsam mit Telemann weiterhin den Spielplan der Oper dominierte.

1728 wurde die Stelle des Domkantors frei, als Mattheson nach schwerwiegenden Streitigkeiten von seinen Oratoriensängern boykottiert wurde. Weil zudem sein Gehör immer schlechter wurde, musste er die Stelle schließlich abtreten. Keiser wurde sein Nachfolger und widmete sich fortan für den Rest seines Lebens hauptsächlich der Kirchenmusik. Am 12. September 1739 starb Reinhard Keiser in Hamburg im Alter von 65 Jahren.

Musikhistorische Bedeutung

Besonders im Bereich der Kantaten und der Oper ist Reinhard Keiser historisch bedeutsam geworden. Während er in Hamburg (und vorher in Braunschweig) wirkte, gewann die Gattung der Oper in Deutschland immer mehr an Popularität. Hamburg entwickelte sich so unter Keisers Einfluss zu einem Zentrum der frühen deutschen Barockoper.

Auch auf Zeitgenossen hatte Reinhard Keiser einen großen Einfluss. Johann Mattheson konstatierte 1740, Reinhard Keiser sei „der größeste Opern-Componist von der Welt“ (Mattheson 1740, S. 133). Besonders für Händel ist bekannt, dass er in seinem Opernschaffen maßgeblich von Keiser beeinflusst wurde. Händel griff auch nach seiner Hamburger Zeit immer wieder in seinen Kompositionen auf Keisers Ideen zurück und nahm sogar auf seine Italienreise mehrere Partituren Keisers zu Studienzwecken mit.

Heutige Rezeption

Zu Lebzeiten wurde Reinhard Keiser als einer der vier großen Hamburger Komponisten der Zeit gleichbedeutend mit Mattheson, Telemann und Händel wahrgenommen. Heute jedoch werden Keiser und Mattheson deutlich seltener als Telemann und vor allem Händel aufgeführt, sodass Keisers Stellenwert in der heutigen Konzertkultur allenfalls ein Nischendasein fristet. Das spiegelt jedoch keineswegs seine immense musikhistorische Bedeutung wider.

Allerdings wird Keiser in jüngerer Zeit immer mehr wiederentdeckt, was sich unter anderem in CD-Neuerscheinungen in den letzten Jahrzehnten bemerkbar macht. Beispielsweise hat sich das Bremer Ensemble Capella Orlandi unter Leitung von Thomas Ihlenfeld in letzter Zeit mit einer Reihe von Einspielungen um Reinhard Keiser verdient gemacht. Die Zeitschrift klassik-heute.com schreibt in der Besprechung einer CD dieser Musiker von 2009 (Reinhard Keiser: Passions-Musik):

„Ein eindringliches Porträt Reinhard Keisers, der viel zu lange im Schatten seiner beiden berühmten Generationsgenossen Bach und Händel stand – einzig der Umstand, dass von Keiser nicht ausreichend Musik überliefert sein dürfte, wird verhindern, dass sich eine der Telemann-Renaissance vergleichbare Rehabilitierung dieses Komponisten absehen lässt.“ (http://www.klassik-heute.com/4daction/www_medien_einzeln?id=19673&Kompo44057, Zugriff am 12.06.2020)

In Reinhard Keisers Geburtsstadt Teuchern gibt es im Heimatmuseum eine Reinhard-Keiser-Gedenkstätte zu Ehren des Komponisten.

Werke

Zu Reinhard Keisers Werken zählen neben den fast 70 Opern, die überwiegend in seiner Hamburger Zeit entstanden sind, diverse Oratorien und Passionsmusiken, darunter eine Lukas- und eine Brockes-Passion. (Barthold Heinrich Brockes war ein Hamburger Schriftsteller, der die Textgrundlage für ein Passionsoratorium verfasste. Dieses wurde von Mattheson, Händel und Telemann ebenfalls vertont.) Daneben schuf Reinhard Keiser zahlreiche weltliche Kantaten mit deutschen und italienischen Texten. Instrumentalmusik spielte ebenfalls eine Rolle in seinem Schaffen, wenn auch in deutlich geringerem Umfang. Zu nennen wären hier zwei Triosonaten sowie ein Concerto nach italienischem Vorbild.

Klangbeispiele

Oper: Croesus (1710)

Instrumentalmusik: Concerto D-Dur

CD-Einspielungen (jpc, mit Klangbeispielen):

Passionsmusik
Reinhard Keiser: Brockes-Passion
Reinhard Keiser: Croesus

Literatur

Christine Blanken, Art. „Keiser, Reinhard, BIOGRAPHIE“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2003, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/48723, Letzter Zugriff am 13.06.2020.

Hansjörg Drauschke, „Die weltliche Kantate in Hamburg zwischen 1700 und 1715. Thesen zu Produktions- und Rezeptionsmodi eines aristokratischen Modells im urbanen Raum“, in: Wolfgang Hirschmann, Dirk Rose (Hrsg.), Die Kantate als Katalysator. Zur Karriere eines musikalisch-literarischen Strukturtypus um und nach 1700,  Berlin, Boston 2018, S. 256–285.

Hansjörg Drauschke, „Vokale Kammermusik in Hamburg. Keiser, Mattheson und Händel“, in: Freundes- und Förderkreis des Händel-Hauses zu Halle e. V. (Hrsg.), Mitteilungen, Heft 1/2014, Halle 2014, S. 56–61.

Klaus-Peter Koch, Reinhard Keiser (1674–1739). Leben und Werk, Teuchern 1989.

Johann Mattheson, Grundlage einer Ehren-Pforte, Hamburg 1740, Reproduktion Graz 1969, S. 125–135.

Link

Heimatverein Teuchern e. V. (ausführliche Informationen über Leben und Wirken Reinhard Keisers auf der Website des Heimatvereins)

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Powerpoint-Präsentation:

Reinhard Keiser: Kantate „Poco amore mi contenta“, Analyse eines handschriftlichen Notenbeispiels

Reinhard Keiser: Kantate „Poco amore mi contenta“ (PDF-Datei)

Robert Buhrmester 2020

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2020 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.