Komponist*innen

Feininger, Lyonel (1871–1956)

* 17. Juli 1871 in New York, † 13. Januar 1956 ebd.

Fotoporträt Feiningers von Hugo Erfurth, 1941

Biografie

Dass der in New York als Sohn deutscher Eltern geborene Maler, Graphiker, Karikaturist und Bauhausmeister Lyonel Feininger auch komponiert hat, ist spätestens seit 2019, dem Jahr des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums, zunehmend ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt.

Lyonel Feininger war schon 36 Jahre alt, als er sich zunehmend der Malerei zuwandte, ab 1911 unter dem Einfluss des Kubismus. 1919 wurde er von Walter Gropius als erster Meister an das neu gegründete Bauhaus nach Weimar berufen. Der synästhetische, ganzheitliche Ansatz des Bauhauses ließ die Künstler nach Überschneidungen zwischen den einzelnen Genres suchen. So hatte insbesondere die Konstruktivität der Fugen Bachs bereits in den Vorkriegsjahren im Rahmen einer „allgemeinen Bach-Renaissance zu Anfang des 20. Jahrhunderts“ (Jewanski 2016) Einzug in die Malerei gehalten. Es entstanden Werke wie „Hommage á Johann Sebastian Bach” von Georges Braque (1912) und „Fuga“ (1914) von Feiningers späterem Bauhaus-Kollegen Wassily Kandinsky. Paul Klee, der 1921 ans Bauhaus kam, gestaltete im selben Jahr sein Gemälde „Fuge in Rot“.

Lyonel Feininger wandte sich in Weimar wieder stärker der Musik zu und komponierte von 1921 bis 1927 dreizehn Fugen, drei für Klavier und zehn für Orgel. 1924 wurde zum ersten Mal ein Stück von ihm im Meistersaal des Bauhauses öffentlich präsentiert. Der Erfolg dieser Aufführung bestärkte ihn darin, weiter „auf autodidaktischem Wege Musik zu gestalten“ (zit. n. v. Maur 1989, S. 349).

Meisterhaus Feininger in Dessau 2004

 

1926 wechselte das Bauhaus nach Dessau und Familie Feininger zog dort in eines der neu erbauten Meisterhäuser. 1931/32 arbeitete Feininger im Auftrag der Stadt Halle (Saale) an 11 Stadtansichten, die heute zu seinen berühmtesten Werken zählen, u. a. die Marktkirche und der Rote Turm. Er residierte dabei in einem Atelier im Torturm der Moritzburg in Halle.

Dank der Unterstützung des Quedlinburger Architekten und Kunstsammlers Hermann Klumpp (1902–1987) konnte Lyonel Feininger, dessen Kunst von den Nationalsozialisten als „entartet“ eingestuft wurde, 1937 mit seiner Familie Deutschland verlassen. Er lebte bis zu seinem Tod 1956 als freier Künstler in New York.

Musikhistorische Bedeutung / Werke

Erst im Alter von 50 Jahren lernte Feininger Bachs Kunst der Fuge kennen. Er war dermaßen überwältigt, dass er beschloss, autodidaktisch eigene Fugen zu komponieren. Am Harmonium in seinem Maleratelier entstanden seine 13 Werke. Feiningers Notenhandschrift ist die eines Künstlers, wie seine Original-Manuskripte zeigen (s. u.). Mit Hilfe einer Schablone aus Zink, in die er Notenköpfe, Schlüssel und Pausen eingeschnitten hatte, setzte er Noten und Zeichen mit einem spitzen Bleistift auf das Notenpapier. Er verwandte z. T. für Interpreten schwierig zu spielende Tonarten mit vielen Vorzeichen, so z. B. sechs „b“ bei der 1. Fuge für Klavier.

Feiningers Original-Manuskript der 1. Fuge für Klavier von 1921

 

„Feiningers Fugenwerk steht bei allem erstaunlichen Reichtum an chromatischer Modulation und struktureller Verarbeitung wie Engführung, Umkehrung und Spiegelung weitgehend im Bannkreis von Bach, zumal ihre kontrapunktische Architektur auf dem System der Tonalität basiert. Gewisse dissonantische Steigerungen verraten jedoch den Zeitgenossen, dessen Themen aber sonst überwiegend aus längeren Notenwerten gebildet und daher nicht sehr dynamisch sind.“ (v. Maur 1998, S. 349 f.) Die Ausarbeitung der Kontrapunktik steht in Feiningers Kompositionen gegenüber den anderen musikalischen Parametern im Vordergrund.

Lyonel Feiningers Gemälde „Der Dom in Halle“, 1931, Fotografie einer Informationstafel beim halleschen Dom

 

Feiningers kompositorisches Werk  fand lange Zeit wenig Beachtung. Im Jahr 2006 erschien erstmals eine (inzwischen leider vergriffene) CD mit den Orgelfugen, interpretiert von neun verschiedenen Organisten. Der auch im Jazz- und Popbereich erfahrene Komponist und Pianist Lutz Gerlach brachte anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019 in mehreren Konzerten zusammen mit der Pianistin Ulrike Mai die Musik Feiningers an Klavier und Keyboard jenseits einer werktreuen barocken Interpretation zur Aufführung, ergänzt durch vom jeweiligen Werk ausgehende Improvisationen.

Feiningers Malerei inspirierte u. a. Kompositionen wie den Klavierzyklus Feininger Impulse von Kurt Dietmar Richter (1931–2019) aus dem Jahr 1988. Im Jahr 2018 entstand im Auftrag der Anhaltischen Philharmonie Dessau die Komposition FEININGER FRAKTALE für Orchester von Thomas Buchholz.

In Quedlinburg eröffnete 1986 die Lyonel-Feininger-Galerie, die mit dem Nachlass von Hermann Klumpp (s. o. Biografie) den größten Einzelbestand mit Werken Feiningers aufbewahrt. Im Jahr 2023 wurde die Galerie in „Museum Lyonel Feininger. Welterbestadt Quedlinburg” umbenannt.

Das Neue Städtische Gymnasium in Halle (Saale) trägt seit dem 1. Februar 2020 offiziell den Namen Lyonel-Feininger-Gymnasium. Anlässlich einer Festwoche im Oktober 2021 wurde in Zusammenarbeit mit dem Verein „Billy on stage” e. V. und unter Anwesenheit des Feininger-Enkels Conrad Feininger ein englischsprachges Musical über Lyonel Feininger mit Texten und Musik von Eva-Maria Schön uraufgeführt (Informationen hier).

Klangbeispiele

Lyonel Feininger – Fuge I (1921), Interpretin: Viviane Goergen, von der CD „Feininger Impulse“

Lyonel Feininger – Fuge IX e-Moll (Weimar 1923), Dietrich Modersohn, Johanneskirche zu Saalfeld

CD-Einspielungen:

Lyonel Feininger: Fugenkompositionen für Orgel, AllMusic, mit Klangbeispielen

Stefan Nusser – Orgelmusik aus Dessau, jpc, Klangbeispiel 7: Lyonel Feininger, Fuge Nr. 13 D-Dur

CD mit 5 Fugen von Lyonel Feininger, adaptiert für Akkordeon und Bassklarinette, Duo Stock – Wettin: Susanne Stock (Akkordeon) und Georg Wettin (Bassklarinette), Klangbeispiel: Lyonel Feininger, Fuge VI

Noten zum Download

Lyonel Feininger, Fuge Nr.1 für Klavier in es-Moll  (Petrucci Music Library, Original-Handschrift)

Literatur

Jörg Jewanski, Art. „Feininger, Lyonel“, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., veröffentlicht November 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/55995.

Karin von Maur, „Feininger und die Kunst der Fuge“, in: Musikwissenschaft zwischen Kunst, Ästhetik und Experiment. Festschrift Helga de la Motte-Haber zum 60. Geburtstag,  hrsg. von Reinhard Kopiez, Barbara Berthelmes, Geiner Gembris, Josef Kloppenburg, Heinz von Loesch, Hans Neuhoff, Günther Röttere, Christian Martin Schmidt, Würzburg 1998.

Links

Die Feiningers. Ein Familienbild am Bauhaus, Sonderausstellung in der Lyonel-Feininger-Galerie Quedlinburg 2019

Der Kontrapunkt auf der Leinwand – Der Maler Lyonel Feininger als Komponist, SWR 2 am 11.11.99, Musikfeuilleton

Musik am Bauhaus. Vom Aufbau der lebendigen Form, Deutschlandfunk am 16.04.2019, von Carolin Naujocks

Museum Lyonel Feininger. Welterbestadt Quedlinburg

Feininger für´s Ohr, Konzerte mit Lutz Gerlach und Ulrike Mai (hallespektrum)

Materialien zum Download

Arbeitsblatt (PDF):

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

SM 2020, letzte Aktualisierung Oktober 2023