Komponist*innen

Dressler, Gallus (1533–1580/89)

* 16.10.1533 in Nebra, † zwischen 1580 und 1589 in Zerbst

Biografie

1. Lebensstation: Nebraer Zeit

Gallus Dressler, auch Dreßler, Dresslerus, wurde am 16. Oktober 1533 in Nebra (Unstrut) geboren. Im damals wirtschaftlich sehr wohlhabenden Nebra gab es eine Schule, die vermutlich auch Dressler, wahrscheinlich ab 1539, besucht hat. Zum umfangreichen Fächerkanon der Schule gehörten auch das Singenlernen und Musiktheorieunterricht. Dressler blieb wahrscheinlich bis zum Abschluss an der Schule und erwarb so die Voraussetzungen für sein späteres Studium und seine musikalische Laufbahn.

2. Lebensstation: Aufenthalt in Belgien

Die „Regio Belgica“

 

Nach Abschluss seiner Schulzeit ist zu Gallus Dressler bis 1557 kaum etwas bekannt. Ein Widmungsgedicht des Magisters Casparus Sturnus Smalchaldensis aus dem Jahr 1565 ist die einzige Quelle, die auf den Verbleib Dresslers in dieser Zeit hinweist. Offenbar hielt er sich damals in der „Regio Belgica“ auf, den von Philipp II. von Spanien beherrschten südlichen Niederlanden (vgl. dazu den rot gefärbten Bereich in der Karte). Dort machte er wohl Bekanntschaft mit der in ganz Europa berühmten Musiktradition der später als sogenannte „Niederländer“ bezeichneten Komponisten, dabei vermutlich auch mit Berühmtheiten wie Jacobus Clemens non Papa (ca. 1510–ca. 1556). Eine Begegnung mit ihm kann zwar nicht nachgewiesen werden, dennoch ist in den musiktheoretischen Werken Dresslers eine große Nähe zum Werk Clemens non Papas und Vertrautheit mit dessen Kompositionen zu erkennen.

3. Lebensstation: Jenaer Zeit

Ab 1. Juli 1557 wurde Dressler am neugegründeten Akademischen Gymnasium in Jena, aus dem sich die Jenaer Universität entwickelte, immatrikuliert. Irrtümlicherweise ist er in den Jenaer Matrikeln als „Tressler“ vermerkt, offenbar ein Fehler des Matrikelschreibers.

Dresslers Eintrag in die Jenaer Matrikel: Gallus Tressler Nebraensis, 1557, 2. Semester, Nr. 89 (8. Eintrag von unten)

 

Zur Zeit Dresslers war die Universität bereits von theologischen Spannungen zwischen den gemäßigten Philippisten (den Anhängern der Positionen Philipp Melanchthons) und den Flacianern (den radikalen Anhängern der Lehre Martin Luthers) geprägt (vgl. dazu auch den Musikkoffer-Artikel zu Leonhart Schröter). Auf welcher Seite der damals 24-jährige Dressler stand, ist nicht nachweisbar. Anhand seiner später klar kommunizierten philippistischen Haltung ist aber davon auszugehen, dass er diese bereits in seiner Jenaer Zeit erworben hatte.

Das Studium in Jena beinhaltete viele verschiedene Wissensbereiche, so Theologie, Philosophie, alte Sprachen, Dialektik, Rhethorik, Mathematik und Musik. Für Dresslers späteren Werdegang waren v. a. die Fächer Mathematik und Musik von Bedeutung, wobei über die Musik nicht nur als mathematische Kunst („musica theoretica“) reflektiert wurde, sondern ebenso Wert gelegt wurde auf ihre praktische Ausübung im Sinne der „musica practica“.

4. Lebensstation: Magdeburger Zeit

 

5. Lebensstation: Zerbster Zeit

Musikhistorische Bedeutung

Dressler war zu seiner Zeit ein beliebter und bekannter Musiker. Er hatte eine Vielzahl von Gönnern. Einige seiner Werke, die stilistisch den Kompositionen Orlando di Lassos und Clemens non Papas nahestehen, sind uns noch heute bekannt. Dennoch steht sein kompositorisches Schaffen in der Bedeutung seinen theoretischen Werken nach. Als Begründer der Magdeburger Kantorentradition, der sogenannten „Magdeburger Schule“, wird Dressler heute gemeinsam mit seinem Vorgänger Martin Agricola wie auch mit seinen nicht unbedeutenden Nachfolgern Leonhart Schröter und Friedrich Weißensee gewürdigt.

Die Motettenkompositionen Dresslers sind im Stil der späten Vokalpolyphonie gefasst. Das heißt, dass manche Abschnitte polyphon und andere homophon komponiert sind. Dressler war ein Meister der polyphonen Musik. Doch neben seinen kompositionstechnischen Fähigkeiten besaß er auch einen Sinn für eindringliche Wirkungen. So konnte er mit seiner Musik Emotionen ausdrücken und den Text in Tönen ausdeuten.

Werke

Lehrwerke

Als erweiterte Fassungen der Vorlesungen Dresslers in Magdeburg erschienen die Practica modorum explicatio (1561) und die Praecepta musicae poeticae (1563), welche in Form von Kollegmanuskripten (stichwortartige Ausarbeitungen von Vorträgen, die nach damaligem Usus den Schülern diktiert wurden) angelegt sind. Zur Practica modorum explicatio gibt es einen Beispielband mit Tonsätzen von Clemens non Papa u. a., während bei den Praecepta musicae poeticae die sonst für Dressler üblichen Beispiele fehlen, die er seinen Schülern vermutlich frei vortrug. Im Mai 1571 erschien ein neuer Leitfaden Musicae practicae elementa. Darauf folgte als Beispiel im Oktober 1571 die Komposition Magnificat octo tonorum.

Zu den wesentlichen Inhalten von Dresslers Lehrwerken gehörten die Vermittlung von Elementarkenntnissen sowie die Tonarten- und Moduslehre. Der plötzliche Abbruch von Dresslers Schaffen lässt sich möglicherweise vor einem weltanschaulich-theologischen Hintergrund in Zusammenhang mit den Streitigkeiten zwischen Flacianern und Philippisten interpretieren.

Kompositionen

Neben seiner Beschäftigung mit der Lehre und der Musiktheorie komponierte Dressler zahlreiche Werke der Vokalmusik. Als Kantor-Komponist des Altstädtischen Gymnasiums war er damit beauftragt, gottesdienstliche Gebrauchsmusik wie Kantaten und Motetten sowie geistliche und weltliche Gelegenheitsmusik zu komponieren. Darüber hinaus dienten Dresslers Werke vermutlich auch als Veranschaulichungen in seinen Lehrveranstaltungen. Viele seiner Werke komponierte er jedoch offenbar aus eigenem Antrieb. Anhand dieser Kompositionen, die er in der Regel als Sammelausgaben von Wolfgang Kirchner herausgeben ließ, pflegte er zahlreiche Kontakte oder knüpfte über Widmungen neue. So lässt sich ein reichhaltiges Geflecht persönlicher Verbindungen zwischen oft bedeutsamen Personen auf dem Gebiet des heutigen Sachsen-Anhalts aus seinen Werken herauslesen, in deren Vorworten er seine Intellektualität sowie sein sprachliches Können und in deren Noten er seine Kunstfertigkeit präsentierte. Dresslers Werke sind damit nicht nur in musikalischer Hinsicht ein wertvolles Zeitzeugnis.

Bis zum Jahr 1570 konnte Dressler nahezu 100 Kompositionen veröffentlichen. Im Mai des Jahres fügte er seiner Sammlung schließlich die XC. Cantiones quatuor, quinque et plurium vocum hinzu, welche zugleich als Höhepunkt seines kompositorischen Schaffens anzusehen sind. Sie sind sein wohl wichtigstes und umfassendstes musikalisches Werk. Diese weltlichen, als Motetten zu verstehenden Gesänge hatten einen religiösen Hintergrund und sind in Stimmbüchern erschienen, das heißt, dass jede Stimme in einem gesonderten Buch herausgegeben wurde. Als das wichtigste Buch galt zu der Zeit das Tenor-Stimmbuch (der Tenor wurde damals als Hauptstimme verstanden). Dementsprechend ist es am reichhaltigsten ausgeschmückt.

Titelblatt des Tenor-Stimmbuches der XC. Cantiones Galli Dresleri Nebraei Cantores Magdeburgensis

 

Die Noten kann man hier ansehen.

Weitere erhaltene Kompositionen in Auswahl (nach Riemann Musiklexikon 2012)

  • Zehen deudscher Psalmen 4-5 St. (Jena 1562)
  • XVII. Cantiones Sacrae 4-5 St. (Wittenberg 1565, 2/1568)
  • XVIII. Cantiones quatuor et plurium vocum (Magdeburg 1567)
  • XIX. Cantiones 4-5 St. (Magdeburg 1569)
  • XVI. Geseng mit 4 und mehr St. (Magdeburg 1570)
  • Magnificat octo tonorum 4 St. (Magdeburg 1571)
  • Opus sacrarum cantionum (Nürnberg 1574)
  • Außerlesene teutsche Lieder 4-5 St. (Nürnberg 1575)

Klangbeispiel

Ich bin die Auferstehung (Bonner Münster-Chor, Chorus Cantate Domino)

Noten

Ich bin die Auferstehung (Chorsatz als PDF zum Download)

Literatur

Jürgen Heidrich, Art. “Dressler, Gallus”, in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York: 2016ff., zuerst veröffentlicht 2001, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/17278.

Wolf Hobohm, „Von Magdeburger Kantoren im 16., 17. und 18. Jahrhundert“, in: Struktur, Funktion und Bedeutung des deutschen protestantischen Kantorats im 16. bis 18. Jahrhundert. Bericht über das Wissenschaftliche Kolloquium am 2. November 1991 in Magdeburg (= Magdeburger Musikwissenschaftliche Konferenzen III), hrsg. von Wolf Hobohm, Carsten Lange und Brit Reipsch i. A. des Zentrums für Telemann-Pflege und -Forschung Magdeburg, Oschersleben 1997, S. 76–93.

Wilhelm Martin Luther, Gallus Dressler (1533 bis etwa 1589). Ein Beitrag zur Geschichte des protestantischen Schulkantorats im 16. Jahrhundert, Diss. Georg-August-Universität zu Göttingen, Göttingen 1942.

Anregungen für den Unterricht

Hier bietet sich eine Verknüpfung mit dem Geschichtsunterricht (16. Jh., Schmalkaldischer Krieg) an.

Im Lehrplan für die Klassen 7/8 wird unter dem Kompetenzschwerpunkt „Musik im Wandel der Zeiten verstehen – Barock und Klassik“ vorgeschlagen, den SchülerInnen die Unterscheidung von Polyphonie und Homophonie näherzubringen. Dies könnte am Beispiel eines Chorsatzes von Dressler erfolgen.

Anhand des Schulalltags des Kantors Gallus Dressler können die Schüler den Schulalltag damals mit dem Schulalltag heute vergleichen.

Dressler kann auch eingebunden werden in eine Unterrichtseinheit zu Musikerberufen. Passend dazu gibt es ein Arbeitsblatt.

Materialien zum Download

Arbeitsblätter (PDF):

Musikerberufe – Der Kantor/Die Kantorin (inkl. Interview mit Barry Jordan, der von 1994 bis 2023 Domkantor und -organist in Magdeburg war; Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Komponistenpersönlichkeiten in Sachsen-Anhalt (Schüler-Arbeitsblatt im Word-Format für Lehrer*innen auf dem Landesbildungsserver)

Johanna Soergel 2018, letzte Aktualisierung Dezember 2023

Der Beitrag entstand im Rahmen eines Seminars im Sommersemester 2018 an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.