Instrumente

Röver, Friedrich Wilhelm Ernst (Orgelbauer)

* 03. September 1857 in Meierhof (bei Beverstedt, heute Landkreis Cuxhaven), † 22. März 1923 in Hausneindorf

Ernst Röver entstammte einer norddeutschen Orgelbauerfamilie. Sein Vater hatte zunächst eine Werkstatt in Meierhof und siedelte mit dieser 1860 nach Stade über. Beide Söhne wurden ebenfalls Orgelbauer und stiegen 1877 als Teilhaber in die Werkstatt des Vaters ein, die fortan den Namen „Johann Hinrich Röver & Söhne OHG“ trug. Während der Bruder Carl Johann Heinrich die Werkstatt nach dem Tod des Vaters weiterführte, ließ sich Ernst Röver im September 1884 in Hausneindorf, einem kleinen Dorf bei Quedlinburg, nieder und übernahm dort die renommierte Orgelbauwerkstatt von Emil Reubke, der im selben Jahr unerwartet an einer Lungenentzündung gestorben war.

Ernst Röver mit seinen Kindern Gertrud, Hans und Ernst junior (um 1898, Urheber unbekannt)

 

(Die unterstrichenen Begriffe finden sich im Orgelglossar.)

Sowohl die Rövers in Stade als auch Emil Reubke hatten sich unabhängig voneinander mit dem System der Kastenlade beschäftigt. Dieser neue Windladentyp entsprach eher den Anforderungen des voluminösen und majestätischen spätromantischen Klangideals in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als die bisher vorherrschende mechanische Schleiflade. Während die Rövers jedoch mit mechanischen Kastenladen experimentierten, entwickelte Emil Reubke bereits eine pneumatische Kastenlade und baute zwischen 1881 und 1884 sechs Orgeln nach diesem Prinzip. Er wurde damit zum Vorreiter der Pneumatik im Orgelbau (vgl. Wille 2017, S. 84–87).

Röver-Orgel in der St.-Johannis-Kirche in Quedlinburg, 1906, im Original erhalten

 

Über 200 Orgelneubaubauten verließen die Hausneindorfer Werkstatt bis 1914, ab 1893 mindestens 5 und ab 1911 mehr als 10 neue Instrumente pro Jahr, undenkbar zu Zeiten des rein handwerklichen Orgelbaus bis etwa 1850. Dabei zeigte Ernst Röver ein ausgesprochenes Qualitätsbewusstsein in Bezug auf die von ihm verwendeten Materialien. Ein Höchstprozentsatz an Zinn in den Metallpfeifen, Eichenholz in hoher Qualität für Holzpfeifen und Gehäuse sowie aus den USA importiertes, besonders hartes Holz (Pitch Pine) für die Kastenladen machten seine Orgeln extrem langlebig. Auch nach hundert Jahren erweisen sich besonders die Kastenladen, in deren Innerem alle wichtigen Funktionselemente vor Staub und Witterungseinflüssen geschützt sind, als zuverlässig und störunanfällig. Durch diese Technik ließen sich zudem störende Trakturgeräusche beim Spielen vermeiden (vgl. Günther 2004, S. 124).

Rövers Orgeln werden sowohl in der zeitgenössischen Literatur als auch von heutigen Experten wegen ihrer Klangqualität gerühmt, die schon bei seinen frühen Instrumenten erkennbar ist „durch den auffallenden Charakter der einzelnen Klangfarben, die sehr individuell herausgearbeitet sind und dennoch zu unendlich vielen Schattierungen verschmelzen“ (Günther 2004, S. 124). Ernst Röver baute zahlreiche kleine Dorforgeln, aber auch große dreimanualige Instrumente mit über 100 Registern, beispielsweise für die Nikolaikirche in Hamburg oder den Magdeburger Dom, die allerdings beide dem Zweiten Weltkrieg zum Opfer fielen. Die letzten beiden Orgeln Ernst Rövers entstanden 1916 und 1919, da mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Geschäfte eingebrochen waren. Röver führte die Werkstatt bis 1921 fort, ab 1920 sind aber nur noch Reparaturen nachgewiesen.

Röver-Orgel in der alten Kirche St. Nicolai, Hamburg

 

Ernst Röver war zweimal verheiratet, aus den Ehen gingen drei Töchter und zwei Söhne hervor. Während Hans Röver, ein Flugzeugbauer und Flugpionier, im 1. Weltkrieg ums Leben kam, ging der Erstgeborene, Ernst junior, als Großgrundbesitzer nach Tansania. Somit trat keiner der Söhne in die Fußstapfen des Vaters und die Orgelbautradition in Hausneindorf erlosch mit dem Tod Ernst Rövers im Jahr 1923 nach einem Schlaganfall.

Ernst Röver war kurioserweise Inhaber des Kaiserlichen Reichspatens für einen Flugzeugrumpf, den sogenannten Röver-Rumpf (1912), da sein Sohn Hans zu diesem Zeitpunkt noch zu jung für eine Patentanmeldung war.

Orgelbauermuseum in Hausneindorf

 

In Hausneindorf gibt es heute ein Orgelbauermuseum, getragen vom Heimatverein Hausneindorf e. V., das sich dem Leben und Wirken der drei regionalen Orgelbauer Adolph und Emil Reubke sowie – mit einem eigenen Ausstellungsraum – Ernst Röver widmet.

Klangbeispiele

Variation (Scherzo) über “In Dir ist Freude” (Peter Ewers improvisiert auf der Ernst-Röver-Orgel von 1903 in der Bonifatiuskirche in Ditfurt, mit ausführlichen Informationen zur Orgel, s. Zit. oben)

Peter Ewers plays Improvisation on Ernst Röver Organ (1903) (mit Video-Tour durch die Ditfurter Kirche)

Literatur

Martin Blindow, Die Orgelbauwerkstatt Ernst Röver, Forschung und Wissenschaft  Bd. 7, LIT Verlag, Berlin 2020.

Martin Günther, Der Hausneindorfer Orgelbauer Ernst Röver. Eine fast vergessene Größe des spätromantischen Orgelbaus, in: Denkmalpflege in Sachsen-Anhalt, 2004 Heft 2, S. 121–138.

Sigrid Hansen, Art. „Röver, Friedrich Wilhelm Ernst“, in: Magdeburger Biographisches Lexikon, http://www.uni-magdeburg.de/mbl/Biografien/1690.htm (abgerufen am 09. Juli 2018).

Lutz Wille, Die Orgelbauwerkstatt Reubke in Hausneindorf am Harz und ihre Instrumente 1838–1884, Landesamt f. Denkmalpflege u. Archäologie Sachsen-Anhalt, Halle 2017.

Links

Heimatverein Hausneindorf e. V.

Restaurierte Orgel in Bernburg eingeweiht

Anregungen für den Unterricht

Zahlreiche erhaltene Röver-Orgeln in Sachsen-Anhalt laden im Rahmen eines Orgelprojektes zur Erkundung ein. Blanko-Arbeitsblätter zum Ausfüllen (für Grundschule und ab Sekundarstufe I) für Exkursionen zu regionalen Orgeln im Unterricht (Erstellung von Orgelsteckbriefen) finden sich auf dem Bildungsserver des Landes unter Regionalkultur.

Vorausgehen könnte ein Besuch des Orgelmuseums in Hausneindorf, verbunden mit einer Besichtigung der Orgel in der benachbarten Kirche (s. pädagogische Angebote des Museums).

SM 2018, letzte Aktualisierung Oktober 2020