
Orgelbauer
Die Orgel der St.-Jakobs-Kirche in Köthen/Anhalt wurde 1872 als dreimanualiges Instrument von Friedrich Ladegast erbaut.
Orgelgeschichte
(Die unterstrichenen Begriffe finden sich im Orgelglossar.)
Johann Sebastian Bach war von 1717–23 in Köthen als Hofkapellmeister bei Fürst Leopold. Seine Liebe zur Orgel blieb hier leider unerwidert, denn es gab keine adäquaten Instrumente in den beiden Kirchen und der Schlosskapelle. Vielleicht war das sogar mit ein Grund für seinen Weggang aus Köthen.
Bis 1866 stand in der St.-Jakobs-Kirche eine Orgel des 17. Jahrhunderts von Zacharias Thayßner. Außer einigen barocken Gehäuseteilen blieb davon nichts übrig. Sie soll Springladen gehabt haben, sehr störanfällig gewesen sein und zu Bachs Zeiten in Köthen nicht spielbar, was die Reformierten wenig gestört haben mag.
In der lutherischen Agnuskirche stand das mittelgroße Instrument eines Akener Orgelbauers namens Müller. Auch hiervon haben sich nur wenige Gehäuseteile erhalten. Zu Bachs Zeiten gab es einen angestellten Organisten namens Jeremias Goebel, der auch bei Bachs Sohn Pate stand.
In der Schlosskirche gab es eine immerhin zweimanualige Orgel von David Zuberbier, die zu Andachten und Kasualien auch von jenem Organisten Goebel gespielt wurde. Aber im Schloss waren mehrere gute Cembali, darunter sogar eines mit Pedal anzutreffen, die J. S. Bach gewiss viel benutzt und sicher auch gewartet hat.
Das 19. Jahrhundert mit seiner Bachrenaissance wollte auch in Köthen nachholen, was Anfang des 18. versäumt worden war, und so ließ man die beiden prächtigen Instrumente in St. Jakob und St. Agnus bauen. Dabei ist die Rühlmann-Orgel in der lutherischen Kirche wie ein etwas kleineres Pendant der Orgel des Lehrers in St. Jakob anzusehen. Sie wurde 1882 erbaut und hat 33 Register. Auch vom Klang und der Intonation ist sie weniger für Bach und Alte Meister geeignet.
Die Ladegast-Orgel in St. Jakob wurde gewiss in der Hoffnung gebaut, dass auch in 144 Jahren noch die großen Werke Bachs regelmäßig gespielt werden und das hat ja auch geklappt! Z. B. habe ich fast alle Orgelwerke Johann Sebastian Bachs schon öffentlich darauf dargeboten und mich um höchstmögliche Durchsichtigkeit, Präzision und fantasievolle Registrierungen bemüht. Regelmäßig spielen auch andere Organisten in Köthen und fast jedes Programm enthält Bachwerke. Die zahlreichen Touristen auf den Spuren des großen Meisters erwarten immer Orgelvorspiele in der St.-Jakobs-Kirche mit einem Bach-Programm.
In der zum Museum gehörenden Schlosskapelle wurde 1991 eine einmanualige Orgel von Johann Christoph Zuberbier wieder aufgebaut, die regelmäßig zu Trauungen und Andachten gespielt wird.

Technische Ausstattung
Die Traktur ist mechanisch mit Schleifladen. Sie wurde mit 4 Werken erbaut: Hauptwerk (in der Mitte), Oberwerk (unten), Echowerk (oben, mit Schwelltritt-feststellbar) und Pedalwerk. Diese sind im spätgotisch geschnitzten Gehäuse erkennbar, was schon auf die Bestimmung der Orgel als Bach-Instrument deutet.
Das Oberwerk hat Positiv-Charakter und steht in Klangfülle und Helligkeit dem Hauptwerk kaum nach – besonders im Kirchenraum. Dieser hat eine sehr hallige Akustik, besonders seit noch im 20. Jahrhundert Verzierungen am Holzgestühl und an der Kanzel entfernt wurden.
Die Orgel füllt einen großen Teil der Westempore und ist in den Raum zwischen den beiden hohen Doppeltürmen sehr großzügig eingebaut, so dass man sie gut begehen kann.
Die nahezu unverändert erhaltene Disposition (unter Materialien zum Download als PDF-Datei abrufbar) enthält 47 Register, 3 Koppeln und den oben erwähnten Fußtritt zum Schwellwerk.
1905 bekam das Hauptwerk eine Barker-Maschine (von Ladegast selbst), 1972 wurden 3 Register barockisiert: Mixtur im OW, Äoline zum 1‘ im III. und im Pedal eine Rauschpfeife, vermutlich aus einem 16’-Register gemacht. Diese Veränderungen wurden 1992 rückgängig gemacht: OW: Progressivharmonika, Echo: Äoline 16‘ (durchschlagende Zunge) und Pedal: Gedackt 16‘. In der Praxis haben sich diese Rückbauten bewährt, sowohl in der Ausführung romantischer als auch barocker Orgelwerke.
In jüngster Zeit hat sich die Aufstellung einer ständigen Befeuchtung (10 Liter pro Tag) als segensreich erwiesen für eine stabile Spielbarkeit der mittelschwer gängigen Traktur und für die Stimmung. Die Stimmtonhöhe liegt (bei 23° C und 75 % Luftfeuchte) bei über 443 Hz. Der Einbau einer modernen Kirchen-Heizung (Mahr) garantiert eine schonende Erwärmung des Raumes bei Veranstaltungen im Winterhalbjahr. Die Grundtemperatur liegt im Winter bei 8° C und die Stimmtonhöhe bei ca. 430 Hz. Die Traktur ist dann schwergängiger und der Klang nicht so schön.
Nun möchte ich Ihnen darlegen, warum Bach auf der Köthener Ladegast-Orgel gut interpretiert werden kann, was ich seit 33 Jahren dort in Nachfolge Bach-begeisterter Orgelspieler seit 1872 tue. Der Orgelneubau wurde damals übrigens im März begonnen und die Orgel im September eingeweiht.
Lassen Sie mich das anhand der Dorischen Toccata von J. S. Bach tun. Man braucht zwei gleichstarke vollregistrierte Werke, wie ich sie mit Oberwerk und Hauptwerk in Köthen zur Verfügung habe. Die Manualwechsel sind in den Noten vom Komponisten vorgegeben. Ein zeichnendes glänzendes Pedal ergänzt das Stück mit solistischen motivischen Partien. Ich erreiche diesen Klang durch den Einsatz der Posaune 16‘, die stark zeichnet und in diesem Sinn barock klingt, obwohl sie durchschlagend gebaut ist mit Holzstiefeln.
Die kompositorische Struktur der Toccata in d-Moll ist durchsichtig und bei kurzer Artikulation der meisten Töne in barocker Weise auch im halligen Raum gut darstellbar. Der verlangte Stereo-Effekt ist durch das eingangs erwähnte Werkprinzip gut ausführbar. Das Tempo kann man affektgemäß rasch nehmen, da die Harmonien sich bei diesem Stück großräumig ändern. Die beiden Mixturen in OW und HW haben mit ihrer Basis auf 16‘ natürlich eine hohe Gravität, sprechen aber deutlich und pünktlich an und ermüden das Ohr nicht.
Ich versuche, das Hörgefühl der modernen Kirchenbesucher, die ich mir als Klassikliebhaber vorstelle, zu erahnen. Sie erwarten Glanz, Gravität, Sound und Durchsichtigkeit und lehnen ab: undurchhörbaren Wust, stumpfe wie schrille Klänge und Langweiliges. Jedes öffentliche Orgelspiel sollte in diesem Sinne ein Ereignis darstellen, Festlichkeit assoziieren und zu Höherem leiten.

Weitere Details unserer Orgel: Die Disposition enthält viele charakteristische 8‘-Register: im OW Geigenprinzipal 8‘ von sonorer und streichender Klangfülle – als Gegenüber zum Prinzipal 8‘ im HW, der als besonders edel empfunden wird und auch allein (ohne 8’-Flöte) benutzt werden kann. Dann die drei im OW: Rohrflöte, Salizional und Quintatön, im HW: Gambe und Flauto traverse, im Echo: Gedackt, Flauto amabile und streichend Viola d’amore.
Aliquotregister sind in reichem Maße in Haupt- und Oberwerk vorhanden: HW: Nasard 5 2/3 (zum 16‘ Bordun), Quinte 2 2/3, Terz 1 3/5 und Cornett, OW: Nasard 2 2/3.
Alle drei Manuale besitzen 2‘-Register: Flautino im III., Oktave im II. und Piccolo und Oktave im I.
4‘-Register: Fugara und Flöte im III., Oktave, Gemshorn und Rohrflöte im II. und Flauto 4‘ und Oktave 4‘ im I.
Nun zu den Registern, die Rohrwerke sind: Oboe 8‘ im Oberwerk, Posaune und Basstrompete im Pedal, Trompete 8’ im Hauptwerk und Äoline 16‘ im Schwellwerk.
Ich würde sie bezeichnen als markant, glanzvoll, schnarrend. Oboe, Posaune und Äoline sind durchschlagende Zungenregister. Die Posaune 16‘ hat Holzstiefel. Alle lassen sich sehr einfach stimmen, da sie gut zugänglich sind. Klanglich würde ich sie eher als romantisch einstufen, aber deutlich präsent bzw. originell. Die Äoline verleiht dem Echowerk den Charme eines französischen Harmoniums. Sie wurde 1992 gebaut, um die Originaldisposition wiederherzustellen. Die Basstrompete 8‘ passt hervorragend zur Posaune. Sie hat Metallstiefel. Ich stimme beide Pedalregister zusammen und nutze sie häufig für die großen Bach-Orgelwerke mit Plenumcharakter. Die Manualtrompete im Hauptwerk ist 1972 gebaut worden. Sie ist nicht sehr originell. Die Ladegast’sche Trompete wurde leider komplett gestohlen.
Unsere Orgel wird auch als Continuo-Instrument eingesetzt. Dabei verwende ich die Rohrflöte im Oberwerk, das Positiv-Charakter besitzt. Da die Orgelempore sehr groß ist, finden häufig Kantatenaufführungen von oben statt. Die relativ gleichmäßige Intonation des gewählten Registers hilft dabei. Hin und wieder verwende ich auch Pedalregister in 8’- und 16‘-Lage für Continuo-Spiel. Dabei spielt das Köthener Schlossconsortium auf modernen Instrumenten mit Barockbögen Werke von Bach.
Klangbeispiele
Johann Ludwig Krebs (1713 – 1780): Fuge „B-A-C-H“, Martina Apitz, Ladegast-Orgel St. Jakob
Johann Nepomuk David: Praeludium G-Dur (aus Praeludium und Fuge), Ladegast-Orgel St. Jakob Köthen, Martina Apitz
Links
Kirchenmusik in Köthen (mit Kontakthinweisen)
Video (Link)
Die Orgel – ungewohnte Einblicke in das Instrument des Jahres 2021
Das anschauliche Video von KMD Martina Pohl und Ulrike Großhennig bietet Schüler*innen die Möglichkeit, am Beispiel der Hildebrandtorgel in Sangerhausen in das Innere einer Orgel zu schauen, die Funktionsweise kennenzulernen, Fragen zu stellen und sich Detailwissen anzueignen. Das Video ist für schulische Zwecke genauso geeignet wie für Interessierte an diesem einzigartigen Instrument.
Materialien zum Download
Disposition der Ladegast-Orgel in der Kirche St. Jakob Köthen (PDF-Datei zum Herunterladen)
Powerpoint-Präsentation:
Von der Taste zum Ton (Eine kleine Führung durch die Orgel), Autorin: Friederike Heckmann
Von der Taste zum Ton (PDF-Datei)
Arbeitsblätter:
Blanko-Arbeitsblätter zum Ausfüllen (für Grundschule und ab Sekundarstufe I) für Exkursionen zu regionalen Orgeln im Unterricht (Erstellung von Orgelsteckbriefen) finden Lehrer*innen auf dem Bildungsserver des Landes unter Regionalkultur.
KMD Martina Apitz 2019, letzte Aktualisierung Mai 2021