Musikalische Bräuche

Peitschenkonzert der Harzer Fuhrleute

Das Peitschenkonzert im Harz, welches heute immer noch von Folkloristen verschiedener Heimatgruppen gepflegt wird, hat eine andere Traditionslinie als das Peitschenknallen im Mansfelder Land. Im Harz war es fest in die Alltags- und Festkultur des Berufsstandes eingebettet und hat sich aus der Signalfunktion der Peitsche im Arbeitsleben der Fuhrleute entwickelt. So heißt es in einem Reiseführer durch den Harz 1846: „Allen Holz-, Erz- und Kohlenfuhren muss ausgebogen werden; vor und in Hohlwegen muss mit der Peitsche signalisiert und sofort still gehalten werden, sobald ein gleiches Signal aus entgegengesetzter Seite erschallt.“ (Brederlow 1846, S. 10) Die Fuhrmannspeitsche, ursprünglich entwickelt zum Antreiben der Pferde und zum Dirigieren der Gespanne, hatte also auch Signalfunktion und diente zur Verständigung, wie übrigens auch das Jodeln (Klangbeispiel 1).

Zwei Fuhrleute im Gespräch

 

Fuhrmann beim Holztransport

 

Doch die Peitsche setzte der Fuhrmann nicht nur bei seiner Berufsausübung ein, sondern das Peitschenknallen entwickelte er zu einer hohen Kunstfertigkeit. Das Peitschenkonzert gehörte zu den Bräuchen des Fuhrmannsstandes. Damit wurden hochgestellte Persönlichkeiten geehrt, es wurde zum Heischegang benutzt und zur Brautwerbung eingesetzt. Eines der größten Peitschenkonzerte mit 150 Berg- und Kohlefuhrleuten fand 1729 im Rahmen einer bergmännischen Aufwartung zu Ehren von Georg II. in Clausthal statt. Alle Bergleute marschierten paarweise an dem hohen Gast vorbei und stellten sich auf dem Markte vor dem Amtshause auf, wo die Fuhrleute auf ein Zeichen des ältesten Fuhrmannes auf einmal alle mit Klatschen ihrer Peitschen ihre Ehrerbietung bezeugten.

Bergmännische Aufwartung mit Peitschenkonzert beim Bergfeste zu Clausthal 1864

 

Und schließlich bot auch das Zusammentreffen in den Gasthöfen des Harzvorlandes, dem sogenannten „Ausspann“, wo die Fuhrleute Wagen und Pferde unterstellten und übernachteten, Gelegenheit für ein Ständchen, z. B. am Klepperkrug bei Wülperode: „Wenn eine größere Anzahl Fuhrleute zu gleicher Zeit übernachtet hatte und am frühen Morgen auch zusammen aufbrach, dann brachten sie manchmal den Wirtsleuten zum Dank für gute Unterkunft ein Peitschenkonzert. Sie standen in ihren blauen Kitteln vor dem Gasthause auf der Straße und klatschten mit den Peitschen. Als Ersatz für eine Begleitmusik, die nur in seltenen Fällen vorhanden war, nahmen sie als Maßstab für den Takt das Gebet ‚Vater unser…‘.” (Vollbrecht 1973, S. 17; Klangbeispiel 2)

Harzer Folkloristen geben ein Peitschenkonzert

 

Aus diesen vielfältigen Erscheinungsformen der Bräuche des Fuhrwesens ist das heutige Peitschenkonzert als ein beliebtes und häufig anzutreffendes kulturelles Phänomen in den Heimatgruppen entstanden. Doch während das heutige Peitschenklappen nur ein rhythmisches Taktschlagen ist, war das Harzer Peitschenkonzert früher vielfältiger: Fuhrherren, Groß- und Kleinknechte verstanden es, mit langen und kurzen Peitschen, durch lautes und leises Klappen, durch langsames und schnelles, tiefes und hohes Schlagen selbst Melodien zu „spielen“, wozu der Großknecht in der Kreismitte den Takt schlug.

Wer die Herstellung einer Fuhrmannspeitsche und ihre Handhabung, d. h. das Peitschenknallen, erlernen möchte, findet dazu Gelegenheit in den Kursen, die der Harzklub anbietet.

Klangbeispiele

Signalgebung mit Peitsche und Jodler (Mitwirkende des Folklore-Ensembles „Harzer Roller“, Harlingerode 1971)

Aufbruch vom Ausspann (Mitwirkende des Folklore-Ensembles „Harzer Roller”, Harlingerode 1971)

Volkslied mit Peitschenbegleitung: Lustig ist das Fuhrmannsleben (Folklore-Ensemble „Harzer Roller“, Harlingerode; Peitsche: Martin Koch, Vorspruch: Volker Wysk, Benneckenstein 1997)

Peitschenkonzert und Blasmusik: Benneckensteiner Tempo (Kapelle Harzmusikanten Halberstadt und Peitschenknaller des Harzklub-Zweigvereins Wolfsburg und Harlingerode 1997)

Video

Auftritt der Folkloregruppe “Kallis knallende Stallburschen”, Heudeber, in Fuhrmannstracht bei dem Volksfest „Kuhball“ (Viehaustrieb) in Tanne 2014, Video: Ronald Langer

Literatur

C. G. Friedrich Brederlow, Der Harz, Braunschweig 1846.

Ursula Vollbrecht, Beiträge zur Harzer Volkskunde, Clausthal-Zellerfeld 1973.

Lutz Wille, Altharzer Signal- und Volksmusikinstrumente in Vergangenheit und Gegenwart, in: Unser Harz 2019, S. 130–137, 143–150.

Lutz Wille 2020, letzte Aktualisierung Juni 2022