Musikalische Bräuche

Harzzitherspiel

Die Harzzither hat sich aus der Cister entwickelt. Diese Kastenhalslaute gehörte in der Renaissance zum Instrumentarium der höfischen und bürgerlichen Musizierpraxis. Mit dem Wandel hin zur Musik des Generalbass-Zeitalters (Barock) Anfang des 17. Jahrhunderts verlor die Cister an Bedeutung, weil polyphone, kontrapunktische Sätze nur schwer realisierbar waren. Michael Praetorius beschreibt in seinem Syntagma Musicum II (1619) unter der Instrumentenfamilie Cithara (ital.) verschiedene „Zittern“ (S. 54–55, Tafel XVI). Doch das Instrument wurde wegen seiner handlichen Größe, seiner Robustheit und wegen des seltenen Reißens seiner Metallsaiten zu einem beliebten Dilettanteninstrument der unteren Volksschichten. Überall in Europa war es weit verbreitet, wie die Namensgebungen belegen. (Schweiz: Toggenburger und Emmentaler Halszither, Sachsen: Bergmannszither, Thüringen: Waldzither, Harz: Zitter, Harzzither). Das Instrument ist nicht mit der Salzburger oder Mittenwalder Tischzither verwandt, welche den Namen „Zither“ erst Ende des 18. Jahrhunderts übernommen haben.

Tafel XVI aus M. Praetorius, Syntagma Musicum II

 

Die Harzzither hat einen runden, tropfen- oder birnenförmigen Korpus. Die Zarge (Seitenteil) ist schmal (< 6 cm), der Boden flach. Der Hals der Zither trägt das Griffbrett. Über dieses ziehen vier metallene Doppelsaiten (Fachbegriff: vierchörig) vom Steg bis zum Wirbelkasten am Ende des Halses. Dort werden sie an den Wirbeln befestigt und entsprechend der Stimmung gespannt. Das Schallloch im Deckel, die Rosette, weist manchmal ein dekoratives geschnitztes Motiv auf. Von der Harzzither ist aus früherer Zeit eine Familienbildung bekannt. Es gab Bass-, Tenor- und Diskantzithern. Heute wird nur noch die vierchörige Tenorzither gespielt. Die Saiten werden mit einem Plektrum angeschlagen. Die Spielweise ist eine akkordische. Die Grundstimmung geht auf einen Dreiklang zurück: Quarte – große Terz – kleine Terz (nur Dur). Die Stimmung der Harzzither ist a – d1 – fis1 – a1. Aus historischen Quellen ist bekannt, dass das Instrument sowohl zur Liedbegleitung wie auch zum Ensemblespiel zusammen mit Gitarre, Violine, Hackbrett und Triangel verwendet wurde. Die Zither hat einen charakteristischen hellen Klang, der auf die Metallsaiten zurückzuführen ist. Im Zusammenspiel mit anderen Instrumenten setzt sie sich wegen ihrer guten Resonanzverhältnisse, bedingt durch das geringe Korpusvolumen, kräftig durch.

Eine Harzzither, gebaut von W. Heindorf 1998, Nr. 98

 

Im Harz und seinen Vorlanden war die Zither früher unter Bergleuten und Waldberuflern (Köhler, Holzfäller) sowie unter der Landbevölkerung weit verbreitet. Ihr Spiel hat eine lange Tradition: So erfahren wir aus einem Beschwerdebrief der wernigerödischen Stadtmusikanten von 1640 an Graf Heinrich Ernst, es würden „statt ihrer auf dem Lande Schäfer und Zimmerleute mit Pfeifen, ZITHERN (Hervorh. d. d. Verf.) und Geigen zu Festen und Tänzen gefordert“. Und auch in der Abhandlung über die musikalische Temperatur von Christoph Albert Sinn, erschienen in Wernigerode 1717, wird das Instrument in einer Aufzählung erwähnt: „…Und damit es ja an der Music nicht fehle / so erdencket sich der Mensch hunderterley Instrumente, Geigen / Lauten / Harffen / Pfeiffen / Paucken / Posaunen / Trompeten / Clavicymbeln / Orgeln sampt Hackebretern / CITTERN (Hervorh. d. d. Verf.) / Pflock-Pfeiffen und was des Krames mehr ist.“

1727 umrahmten sechs Bergsänger (musizierende Bergleute), die ihre Lieder mit der Harzzither begleiteten, eine gräfliche Hochzeit auf dem Schloss in Stolberg. Doch im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde die Harzzither allmählich von der Gitarre verdrängt und kam ganz außer Gebrauch. Über eine hervorragende Sammlung von Zistern/Zithern verschiedener Bauformen verfügt das Musikinstrumentenmuseum der Universität Leipzig.

Bergsänger mit der Harzzither begleiten zum Tanz (Gläserne Oberharzer Bergkanne von 1696, Oberharzer Bergwerksmuseum Clausthal-Zellerfeld)

 

In der Harzregion hat die Zither sich ohne Unterbrechung bis heute nur in Braunlage erhalten. Ihr Spiel wird von der Heimatgruppe des Harzklub-Zweigvereins gepflegt. Sieben Harzzithern, ein Hackbrett, drei Gitarren, zwei Akkordeons und ein Zupfbass gehören zu ihrer Instrumentalgruppe. Die Mitglieder bewahren die mündlich überlieferten traditionellen Harzzithermusiken und spielen diese entweder auf Heimatveranstaltungen oder auf dem Harzer Heimattag, dem Volksmusikfest des Harzklubs. Es wird fast nur das einstimmige Melodiespiel gepflegt. Mehrstimmige Sätze werden auf verschiedene Instrumente verteilt. Die musikalischen Möglichkeiten des Instruments sind jedoch vielfältig und würden auch andere Spieltechniken erlauben.

Mitglieder der Heimatgruppe des Harzklub-Zweigvereins Braunlage spielen auf der Harzzither

 

Die eigens für die Harzzither geschriebenen Volksmusiken sind z. T. nachweislich durch Laienkünstler geschaffen worden. Erst im Jahre 2000 erfolgte ihre Notation aus der mündlichen Überlieferung heraus. Das Musizieren erfolgt noch heute aus dem Gedächtnis. Jeder Einzelne hat die Beherrschung des Instruments und des Repertoires durch Zusehen, Zuhören, Probieren und Mitmachen erlernt. Es wird spontan zum eigenen Vergnügen oder zur Freude anderer auch im Café oder in einer Gaststube aufgespielt.

Klangbeispiele

Unterhaltungsstückchen (instrumental; Harzzithergruppe H. Wagner 1999)

Es liegt ein Dorf im Harzer Land (Lied mit Harzzitherbegleitung; Terzett der Volkskunstgruppe Harzgerode/Harzzithergruppe H. Wagner 1999)

Video

Harzzitherspiel: Der ohle Rittersche, gespielt von 2 Tenorzithern und einer Basszither, Harzzither-Trio Braunlage (Trans World Video Ronald Langer)

Noten zum Download

De ohle Rittersche  (Notation N. Duve, PDF)

Unterhaltungsstückchen (Notation N. Duve, PDF)

Literatur

Lutz Wille, Die Harzzither – Geschichte, Bau, Spielweise, Musik, Clausthal-Zellerfeld 2000 (mit Audio-CD), ISBN  3-923605-10-2.

Johann Hilpert/Andreas Michel/Lutz Wille, Die Harzzither – Volksmusikinstrumente aus dem 18.–20. Jahrhundert (Ausstellungskatalog), Clausthal-Zellerfeld 2000.

Lutz Wille/Ronald Langer, Die Harzzither – Ein Volksmusikinstrument in ungebrochener Tradition, DVD, Benneckenstein 2007.

Links

Praetorius, Syntagma Musicum II (SLUB Dresden)

Musikinstrumentenmuseum Leipzig / Zistern

Heimatgruppe des Harzklub-Zweigvereins Braunlage

Verein Freunde und Förderer der Waldzither e.V./Thüringen:

Lutz Wille 2020