Musikalische Tradition
Das Birkenblattblasen ist eine Musizierform, die ursprünglich eng verbunden war mit dem Schäferberuf und – neben anderen Regionen Deutschlands und Europas – auch im Harz und im Harzvorland praktiziert wurde und wird. Seine Bedeutung im Alltag der Schäfer zum Zeitvertreib hat aber kontinuierlich abgenommen und ist im Aussterben begriffen zugunsten einer neuen Verbreitung als volksmusikalische Tradition der Harzregion. Auf diese Art wird eine alte musikalische Fertigkeit (früheste bekannte Erwähnung 1799) bewahrt und, beispielsweise bei Volksfesten, einem breiteren Publikum zu Gehör gebracht.
Der Harzklub e. V. bezieht die Unterweisung im Jodeln, Peitschenknallen und Birkenblattblasen in seine Kinder- und Jugendarbeit ein.

Link
Ausschnitte aus der Folklorewerkstatt 2013 in der Jugendherberge Wernigerode (Birkenblattblasen ungefähr ab Min. 12:55)
Das Instrument
Beim Birkenblatt als Instrument handelt es sich nicht um das eigentliche Blatt (Laub) der Birke, sondern um den Bast unterhalb der Rinde. Die Schäfer haben in der Regel ihre Instrumente selbst hergestellt. Dazu wird von der Rinde ein kleines Stück von ca. 3–4 mal 5–6 Zentimetern ausgeschnitten und schichtweise abgeschält, um an den elastischen Bast zu gelangen (Dicke ca. 0,2 mm). Dieses Rechteck wird ca. 1 cm unter der Schmalseite leicht umgeknickt und mit dem Hauptteil gegen die Unterlippe gedrückt, während die Oberlippe auf dem nach vorne abgeknickten Stück liegt (vgl. Schrammek 2010, S. 8).


Strömt Luft durch die gespannten Lippen, gerät das „Birkenblatt“ in periodische Schwingungen durch ein Hin- und Herschnellen der umgeknickten Kante. Ein Ton entsteht, ähnlich den hohen Tönen einer Oboe. Das Instrument gehört somit zu den freien Aerophonen, genauer zu den selbstklingenden Unterbrechungsaerophonen mit aufschlagender Zunge.

Die Tonhöhe lässt sich beeinflussen durch die Stärke des Luftstromes, die Lippenspannung und die Stellung der Mundhöhle. Der Tonumfang liegt etwa bei a’ bis fis’’’, die Lautstärke entspricht der einer Sopran-Blockflöte.
Es ist recht schwierig, das Birkenblattblasen zu erlernen, und erfordert viel Übung, damit auch umfangreichere Melodien und Lieder gespielt werden können. Geübte Birkenblatt-Kapellen sind in der Lage, mehrstimmig homophone Lieder und Stücke zu interpretieren.
Im Gerhard-Hauptmann-Gymnasium Wernigerode führte Katja Keller 2016 ein musikalisches Projekt zum Birkenblattblasen durch („Lehrplan” als PDF s. u. Materialien zum Download).

Klangbeispiele
Ein Mädchen wollte die Lämmlein hüten, Schäfermeister Ernst Lichtenfeld, Wegeleben, auf der CD zu Schrammek 2010 (historische Aufnahme, einstimmig)
Schäferlied (Wenn ich meine Schafe weide), Text: Hermann Löns, Melodie: Fritz Jöde, ausgeführt von Fritz Sachs und Willi Lehmann, Thale, auf der CD s. o. (historische Aufnahme, zweistimmig)
Video
2017 erschien die DVD „Das Birkenblattblasen in der Harzregion. Ein Film von Lutz Wille und Ronald Langer”. Enthalten sind ein ausführlicher Lehrplan für einen Kurs oder selbstständiges Lernen sowie historische und aktuelle Aufnahmen. Die DVD sowie das Buch mit CD von Winfried Schrammek (s. u. Literatur) können über den Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V. bezogen werden.
Literatur
Winfried Schrammek (Hrsg.), Über das Birkenblattblasen im Harz, Landesheimatbund Sachsen-Anhalt e. V., Halle (Saale) 2010 (mit CD).
Links
Ausschnitte aus der Folklorewerkstatt 2013 in der Jugendherberge Wernigerode (Birkenblattblasen ungefähr ab Min. 12:55)
Verklingende Birkenblätter (Volksstimme.de vom 01.05.2016)
Auch auf „richtigen” Blättern kann man Musik machen:
Autumn Leaves, gespielt mit „autumn leaves” (Herbstblättern)
How to play the leafophone, Anleitung zum Musizieren auf Blättern
Materialien zum Download
Lehrplan von A–Z zur Erstellung eines Birkenblatt-Blasinstrumentes (mit Anleitung zum erfolgreichen Blasen)
Birkenblattblasen – Vorschläge für den Unterricht (mit einem zweistimmigen Schäferlied zum Nachspielen)
SM 2017, letzte Aktualisierung Juni 2022